Via de la Plata per Fahrrad

Via de la Plata per Fahrrad

März 2017

Der Bericht über die diesjährige Pilger-Fahrt wird etwas ausführlicher als die anderen, es geht auf dieser Tour aber auch wesentlich emotionaler zu als auf den anderen.

 

Die Probleme mit meinem rechten Fuß gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Seit der letzten Bestrahlung gleich nach meiner Rückkehr aus Spanien habe ich keine Schmerzen mehr. Alles scheint gut zu sein und wir planen die Fortsetzung unseres Caminos und buchen die Flüge. Dann beginnt das gleiche Spiel im linken Fuß. Die Schmerzen sind anders als beim Fersensporn. Da ein solcher aber festgestellt wird, beginnen wir diesmal gleich mit der Bestrahlung und verzichten auf das Spritzen. Die Behandlung führt nicht zum Erfolg und es wird ein MRT gemacht, bei dem man einen Sehnenschaden feststellt. Der Arzt rät vom Wandern ab und empfiehlt stattdessen Radfahren.


Ich mache mich auf die Suche nach einem Fahrradverleih und stelle fest, dass es davon gleich mehrere gibt. Uschi muss ich nicht lange überreden, denn beim Fahrradfahren ist die Gefahr von Blasen an den Füßen wesentlich geringer als beim Wandern. Die Räder sind schnell bestellt und werden samt Packtaschen, Ersatzschlauch und Werkzeug an die Start-Adresse geliefert. Abgeben kann man sie dann in jedem Fahrradgeschäft, die den Rücktransport veranlassen. Klingt alles ganz easy. Ich kaufe mir Radlerhosen und leichte Wanderschuhe.


28. März 2017

Wir treffen uns in Madrid am Flugplatz und fahren zusammen zum Busbahnhof. Bis zur Abfahrt unseres Busses haben wir noch allerhand Zeit und schauen, ob wir irgendwo eine Gaskartusche auftreiben. Bei Corte Inglés werden wir zwar fündig, allerdings gibt es nur Steckkartuschen, keine zum Schrauben. Dann holen wir uns eben in Mérida eine. Dort wissen wir immerhin, wo es einen Baumarkt gibt.


Kurz vor 20:00 Uhr treffen wir in Mérida ein und fahren mit dem Taxi zum Hotel Lusitania, wo unsere Fahrräder schon auf uns warten. Nun, sie können auch noch etwas länger warten, denn ausgepackt werden sie erst morgen früh. Wir freuen uns nämlich schon seit Tagen auf das Abendessen in der Taberna de Sole, denn wir wollen dort Uschis gestrigen Geburtstag nachfeiern. Doch wir werden enttäuscht! Die Chefin ist selbst nicht da und das Essen kann nicht im Entferntesten an die Qualität des letzten Jahres heranreichen. Wir feiern trotzdem und kommen erst um Mitternacht ins Bett!


Um 08:00 Uhr heißt es aufstehen, Räder auspacken und diese erst einmal zusammenbauen, Lenker und Pedale sind nämlich abgeschraubt und in den Packtaschen verstaut. Danach müssen noch die Kartons entsorgt werden und unser Gepäck wandert vom Rucksack in die Packtaschen. Der Rucksack wird auf den Gepäckträger geschnallt und es kann losgehen! Zunächst zum Baumarkt, wegen dem Gas für den Kocher. Auf unseren Kaffee wollen wir nämlich unterwegs nicht verzichten. Doch diese dämliche Gaskartusche ist nirgends aufzutreiben, obwohl wir mehrere Geschäfte ansteuern und dabei gut zwei Stunden durch die Stadt gurken. Dabei merke ich schnell, dass an meinem Rad mit der Gangschaltung etwas nicht stimmt. Die Kette rutscht dauernd übers Ritzel und ich trete wie im Hamsterrad, ohne wirklich vom Fleck zu kommen. Uschi lacht sich halb kaputt und ich stimme zuerst mit ein, nach einer Weile vergeht mir aber das Lachen. So macht das keinen Spaß!


Um 12:00 Uhr haben wir die Stadt endlich hinter uns gelassen, ohne Kartusche, und erreichen den Stausee Proserpina, den schon die Römer angelegt haben, um die Stadt Mérida mit Trinkwasser zu versorgen. Uschi hat offenbar keine Probleme mit ihrem Fahrrad und kommt einige Minuten vor mir am Stausee an. Sie wartet zwar auf mich, will aber gleich weiterradeln, als ich zu ihr aufschließe. Ich bin angefressen! Natürlich wegen des Fahrrads mit seiner kaputten Schaltung! Doch ich lasse meinen Frust an Uschi aus und pflaume sie an, dass ich nicht vorhabe im Eiltempo durch Spanien zu radeln. Ich will auch was sehen, nämlich im Moment hier diesen Stausee, und nicht nur durch die Gegend hetzen.


Wir haben keinen guten Start in diesem Jahr und es soll während unserer Radltour noch öfters kleine Knatschereien geben. In Aljucen, was unser Tagesziel gewesen wäre, wären wir zu Fuß unterwegs, legen wir eine kurze Pause an der Pilgerherberge ein. Wir füllen dort unsere Wasserflaschen auf und fragen nach, ob es im Dorf oder Umgebung eine Fahrradwerkstatt gibt, und erhalten die Auskunft, dass es in Alcuescar, unserem heutigen Ziel, eine geben müsste. Dann also weiter! Mein Arzt hat mir vor dieser Reise erzählt, wenn man gemütlich unterwegs ist, fährt man in der Stunde etwa 20 km. Eine Tagesleistung von 100 km wäre locker zu schaffen und man hätte dann noch viel Zeit, sich am Ziel die Stadt anzuschauen. Ich war mit der Vorstellung nach Spanien geflogen, bereits in diesem Jahr in Santiago anzukommen! Von Mérida bis Alcuescar sind es gerade einmal 38 km und wir – also in erster Linie ich – brauchen fünf Stunden dafür. Vielleicht sollte ich den Arzt wechseln! Oder das Rad!


Die Werkstatt entpuppt sich als Motorradwerkstatt in der auch Rasenmäher repariert werden. Der Lehrling nimmt sich unserer Räder an, denn auch Uschi findet inzwischen, dass ihr Fahrrad nicht gut schaltet. Er schraubt und dreht ein bisschen daran herum und danach geht es wirklich besser. Das Abendessen in der Klosterherberge entschädigt uns etwas für die Unannehmlichkeiten. Es sind viele Pilger hier im Kloster und wir essen alle zusammen und erledigen anschließend den Abwasch auch miteinander. Danach schlendern wir noch ein wenig durch den Klostergarten und liegen um 21 Uhr in unseren Betten in einer kalten Zwei-Bett-Klosterzelle.


Die Freude über die reparierte Gangschaltung ist bei mir nur von kurzer Dauer, denn das Ritzel rattert immer wieder durch. Ich würde das Ding am liebsten in die nächste Ecke schmeißen und zu Fuß gehen. Alle paar Kilometer springt jetzt auch noch die Kette ab. Der Pilgerweg führt über einen Sport-Flugplatz, bei dem das Betreten eigentlich verboten, explizit für Pilger aber erlaubt ist. Ich strample mich ab, um die Piste zu überqueren und denke mir, wenn jetzt ein Flugzeug landen will, muss es warten, bis ich weg bin. Uschi fährt mir regelrecht davon!

Am Vormittag werden wir von einem jungen Franzosen auf dem Rad überholt. Ich bin gerade mal wieder dabei, die Kette aufzuziehen. Er fragt, ob er helfen kann und schaut dann in seiner Karte nach, wo die nächste Fahrradwerkstatt ist. So eine Karte haben wir natürlich nicht! In Cáseres gibt es gleich zwei Werkstätten. Das trifft sich gut, denn Cáseres steht auf meiner Besichtigungsliste. Eigentlich hatte ich sogar vorgehabt, hier zu übernachten, wären wir zu Fuß unterwegs.


Mit neu erwachtem Elan trete ich weiter mein Hamsterrad. Nun habe ich zumindest etwas, worauf ich mich freuen kann. Cáseres soll eine sehr schöne Stadt sein. Doch als der Abzweig nach Cáseres kommt, fährt Uschi daran vorbei. Ich bin ein gutes Stück hinter ihr und schreie mir die Kehle aus dem Hals, bis sie mich endlich hört. Knatscherei die zweite: Uschi will nicht nach Cáseres, sie möchte weiter. Ich kann aber so nicht weiter. Das Rad muss fachmännisch repariert werden. Sonst will ich gar nicht mehr weiter! Wir fahren also nach Cáseres, finden nach vielem Fragen und Suchen den Fahrrad-Händler mit Werkstatt und stellen fest, dass er vor zehn Minuten in die Mittagspause gegangen ist. Von 14 – 17 Uhr ist Siesta. Uschi will so lange nicht warten, sondern möchte weiterfahren und ich breche daraufhin zusammen. Ich sitze auf der Treppe vor dem Fahrradgeschäft, weinend und schluchzend, dass ich bald keine Luft mehr bekomme. Ich will nach Hause! Ich bin fest entschlossen das blöde Rad an der Tür des Händlers anzuketten, einen Zettel daran zu heften, wohin er das Ding schicken soll und dann eine Möglichkeit zu finden, so schnell wie möglich nach Madrid zum Flugplatz zu kommen.


Ein ganzes Jahr lang habe ich mich auf diesen Urlaub gefreut und jetzt ist die ganze Tour von Anfang an ein Fiasko. Ich beruhige mich erst etwas, als Uschi sich zu mir setzt, mir den Arm um die Schulter legt und einlenkt. Wir kennen uns eben schon zu lange und schätzen uns gegenseitig zu sehr, als dass wir lange streiten können oder uns gar wegen so einer Sache entzweien würden. Wir ketten also beide Räder ans Treppengeländer und ich frage in der Bar gegenüber, ob wir die Packtaschen für ein paar Stunden dort deponieren dürfen. Dann machen wir uns auf den Weg, besichtigen die wirklich sehenswerte Altstadt, trinken Kaffee, essen Eis und sind gegen 17 Uhr wieder bei unseren Rädern. Wir holen die Packtaschen aus der Bar und ich will mein Rad losketten, aber das Schloss lässt sich nicht öffnen. Seltsam, ich weiß ganz sicher, dass sich das Zahlenschloss mit 6666 öffnen lässt. Das von Uschi ebenso. Doch auch sie hat kein Glück. Etwas ratlos probieren wir es immer wieder und geben schließlich auf. Dann muss der Händler das Schloss eben mit dem Seitenschneider öffnen. Einen letzten Versuch will ich aber noch wagen und da ich jetzt auf der anderen Seite des Fahrrades stehe, lese ich aus meiner Sicht nun 9999. Wenigstens dieses Problem ist gelöst.


Der Händler kommt, ist sehr freundlich und zuvorkommend und erklärt uns, dass seine Werkstatt nur an bestimmten Tagen besetzt ist. Heute nicht! Der Monteur arbeitet nämlich noch anderswo und wäre erst morgen wieder bei ihm in der Werkstatt. Er könne ihn höchstens anrufen und fragen, ob er nach seiner Schicht um 23 Uhr noch vorbeischauen mag. Uschi sagt vorsichtshalber mal gar nichts und ich frage ihn, ob er uns wenigstens den Weg zu dem anderen Fahrradhändler erklären kann, den der Franzose uns genannt hat, und ob er wüsste, ob die geöffnet hätten. Wir erfahren, dass das Geschäft keine zwei Kilometer entfernt ist und gar keine Siesta macht, sondern durchgehend geöffnet ist. Wir machen uns umgehend auf den Weg dorthin.


Das Fahrradgeschäft ist sehr groß und liegt direkt neben einem Park mit Kinderspielplatz. Während wir diesen Spielplatz überqueren und auf das Geschäft zufahren zetert Uschi hinter mir, dass wir so viel Zeit unnütz mit Warten vergeudet haben, statt gleich hierherzufahren. Innerlich stimme ich ihr zu, doch äußerlich gebe ich das natürlich nicht zu, sondern meckere dagegen. In dem Moment kommt ein großer, kräftiger Mann aus der Tür und sagt auf Deutsch: "Nicht streiten, Mädels, was ist los?" Er heißt Rafael, ist in Frankfurt-Sachsenhausen aufgewachsen und spricht astreines Deutsch. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Mein Spanisch ist nicht schlecht, aber was Ritzel heißt, weiß ich nicht. Und ich habe mir die ganze Zeit schon überlegt, wie ich einem Spanier mein Problem erklären könnte.


Der Mann ist ein Engel! Er nimmt mein Rad mit nach drinnen, hängt es auf ein Gestell, tauscht das Ritzel aus, weil es völlig hinüber ist, und macht eine komplette Inspektion. Dann geht Erzengel Rafael mit mir und dem Rad nach draußen auf den Spielplatz und übt mit mir Schalten. Ich fahre Runde um Runde um die Schaukel und den Sandkasten, bis es klappt. Rafael läuft nebenher und gibt mir Anweisungen.  Treten, schalten, warten bis die Kette umgesprungen ist und dann erst loslassen. Muss einem Fahrrad-Analphabeten doch auch gesagt werden! Die Kinder auf dem Spielplatz schauen der Oma auf dem Fahrrad zu und amüsieren sich köstlich. Uschi auch! Ihr Rad bekommt dann auch noch eine Inspektion und Rafael meint, wir sollen die Rechnung an den Verleiher schicken. Meine Freundin Otilia, waschechte Mexikanerin, wird telefonisch mit der Reklamation beauftragt. Sie ruft für uns den Verleiher an und macht ihn in seiner Muttersprache zur Minna. Hätte ich so nicht gekonnt!


Wir fahren an dem Tag noch weiter bis Casar de Cáseres, dabei kommt es zur nächsten kritischen Situation. Uschi fährt voraus, ich nun mit deutlich geringerem Abstand hinterher. An der Kreuzung, die aus der Stadt hinausführt, ist die Beschilderung derart ungenau, dass wir beide verunsichert sind. Wir entdecken offenbar gleichzeitig einen Pfeil, der zur Fußgängerampel und dann geradeaus zeigt. Uschi fährt auch hin zur Ampel, doch in dem Moment, als ich ihr folgen will, sehe ich an der Stierkampf-Arena ein riesiges Schild, auf dem genau aufgemalt ist, dass der Pilgerweg vor der Arena lang geht und dann in die nächste Straße rechts einbiegt. Hier verlaufen und verfahren sich Pilger offenbar regelmäßig! Ich versuche, Uschi darauf aufmerksam zu machen, doch sie winkt ab und fährt geradeaus weiter. Ich rufe und rufe, aber entweder hört sie mich nicht, oder sie hat die Schnauze voll von mir und meinen Sonderwünschen. Die Nerven liegen heute eben blank! Ich denke verärgert, dann soll sie doch sehen, wohin sie kommt, und biege links und dann rechts ab. Nach ca. 200 m fahre ich an den Straßenrand und warte. Es dauert nicht lange und Uschi kommt angebraust. Man sieht ihr die Verärgerung an, denn sie schimpft vor sich hin. Bis sie mich sieht! Dann müssen wir beide lachen, vertragen uns wieder und suchen in Casar de Cáseres die Pilgerherberge.


Es sind noch zwei obere Stockbetten frei, anmelden muss man sich in einer Bar gegenüber, in der man auch den Stempel erhält und ein ordentliches, recht schmackhaftes Abendessen bekommt. An den Unterkünften merkt man, dass wir seit Mérida auf der Via de la Plata unterwegs sind und eben nicht mehr auf dem noch wenig begangenen Camino Mozárabe. Die Via de la Plata ist, nach dem Camino Francés, der am zweitstärksten frequentierte Jakobsweg. Ja, inzwischen ist diese Route sogar fast so populär wie der Camino Francés. Auf den ersten beiden Touren hielt sich die Zahl der Pilger, die wir trafen, in Grenzen. Da hatten wir die Herbergen entweder für uns allein, oder es waren höchstens noch zwei weitere Pilger da. In der Herberge in Casar de Cáseres erfährt Uschi nun wie es ist, mit mehreren fremden Menschen auf engstem Raum zu nächtigen. Unsere beiden oberen Betten stehen dicht an den Waschräumen und Toiletten. Die ganze Nacht über hören wir immer wieder die Klospülung. Die unteren Betten sind fast ausschließlich mit französischen Pilgern belegt, die alle älter sind als wir. Und zwar deutlich älter!


Zwischen fünf und halb sechs Uhr früh machen sich die Franzosen bereit für den Abmarsch. Zwar versuchen sie, halbwegs leise zu sein, aber so ganz kann man das Rascheln eben nicht vermeiden. Die Frau im Bett unter Uschi raschelt besonders laut mit ihrem Schlafsack. Uschi richtet sich schlaftrunken im Bett auf, die Frau sieht, dass Uschi wach ist und schmettert ein freundliches „Hola“ durch den Raum, und Uschi: „Holla, die Waldfee, oder was? Geht´s noch?“ Dreht sich um und schläft weiter. Ab jetzt sind alle weiblichen Pilger für uns Waldfeen!


Wir sind ab 9 Uhr auch auf dem Weg zum Tajo-Stausee und heute gefällt es mir schon besser, das Rad-Pilgern. Zumindest solange wir mit unseren Mountain-Bikes auf dem Pilgerpfad unterwegs sind. Das könnte mir generell gefallen und ich überlege bereits, mir auch ein Mountain-Bike anzuschaffen. Heute nehme ich auch die Landschaft ganz anders wahr und mir gefällt ausgesprochen gut, was ich sehe. Uschi ist dagegen nicht so begeistert, hier über Stock und Stein zu radeln und würde die Straße vorziehen. Dennoch hängt sie mich an jeder Steigung ab und nach ein paar Stunden muss ich leider zugeben, dass es bei mir nicht nur an der kaputten Schaltung lag. Ich bin schlichtweg zu blöd zum Radfahren! Also daheim dann doch kein Mountain-Bike!

  • Immer wenn es bergab geht, rausche ich mit Tempo an Uschi vorbei und freue mich, auch einmal vorauszufahren. Doch spätestens nach den ersten 200 m des nächsten Anstieges überholt sie mich wieder. Ich komme bergauf kaum vom Fleck und keuche wie ein altersschwaches Walross. Ich bin einfach nicht zum Radfahren geboren.


    So kämpfe ich mich an diesem Tag bis Galisteo und bin hellauf begeistert, dass der Weg zur Herberge über den Burgberg führt. Das Städtchen ist umgeben von einer gewaltigen Mauer, an der ich mein Rad entlangschiebe. Fahren kann ich gerade nicht mehr. Ein Blick durch das Stadttor weckt in mir die Vorfreude auf die Besichtigung des Ortes. Doch erst geht es auf der anderen Seite des Burgberges wieder hinunter. Unten gibt es eine Bar mit Restaurant und Pension und ich frage nach dem Weg zur Herberge. Der Kellner erklärt mir, dass die bereits restlos ausgebucht ist und er uns in seiner Pension auch kein Zimmer mehr geben kann. Er ist auch ausgebucht. Dafür bettelt er mich um ein Pflaster an, weil er sich gerade in den Finger geschnitten hat und Pilger doch immer Pflaster dabeihaben. Ich verarzte ihn und nachdem wir uns ein paar Minuten ausgeruht und auch etwas getrunken haben, fahren wir zwei Kilometer weiter zu einem kleinen Hotel. Dort ist man angeblich ebenfalls ausgebucht und zudem sehr unfreundlich und will uns zu einem Hotel in den nächsten Ort schicken, der aber definitiv zu weit von unserer Route entfernt ist. Ich frage die Frau, ob wir die Räder wenigstens bei ihr deponieren dürfen und sie uns ein Taxi rufen kann, doch das lehnt sie mürrisch ab. Wir fahren zurück nach Galisteo und ich trage dem Kellner dort die gleiche Bitte vor. Er telefoniert kurz, sagt dann, wir sollen eine Stunde bei ihm warten, dann würde unser Problem gelöst, denn er hätte ein Zimmer für uns reserviert. Wir würden abgeholt werden.


    Pünktlich nach einer Stunde fährt ein Krankentransporter vor, packt unsere Räder hinten rein, wo normalerweise Rollstühle transportiert werden, und fährt uns zur Pilger-Herberge nach Carcaboso. Zwei Australier fahren auch mit, allerdings ohne Räder. In der Herberge ist viel los, dennoch haben wir ein Drei-Bett-Zimmer für uns allein. Wir treffen dort unseren französischen Radfahrer wieder, den mit der Liste der Fahrrad-Werkstätten. Auch ein mittelloser Amerikaner ist in der Herberge, dem man seine Brieftasche mit allem Geld, Kreditkarte und Ausweis gestohlen hat. Sagt er zumindest. Er hat angeblich seine Tochter schon verständigt, die ihm Geld anweisen will. Wir lassen ihn nicht hungern, sondern legen alle zusammen und spendieren ihm ein Abendessen.


    Wir haben durch diese ganzen Umstände ein ganzes Wegstück gutgemacht und fahren heute viel querfeldein. An einem sehr steilen Anstieg müssen wir schieben. Es ist so steil, dass wir die Räder mit den Packtaschen drauf allein gar nicht packen. So lassen wir mein Rad unten stehen, schieben zuerst das von Uschi gemeinsam hinauf und holen dann meines nach. Heute ist Uschi diejenige, der die Plagerei zusetzt. Querfeldein ist nicht ihr Ding und spätestens als wir einer Herde Schafe ausweichen müssen und sie mit einem großen Ginsterstrauch kollidiert und sich am Oberarm verletzt, suchen wir einen Parallelweg auf der Straße und landen auf der alten Nationalstraße auf der wir bis 14:30 Uhr ohne Unterbrechung durchfahren. Uschi schlägt zwar mehrmals eine Pause vor, immer, wenn sie nach einem Anstieg oben auf mich wartet und ich auch endlich ankomme, doch ich will es heute hinter mich bringen.


    In Hogar del Pensionista, was meines Erachtens „Altersheim“ heißt, gönnen wir uns ein Mittagessen und fahren anschließend bis Baños de Montemayor in einem Rutsch durch. Ich brauche eine Pause, mindestens einen Tag, und ich will nicht mit dem Fahrrad über das Gebirge fahren, das vor uns liegt. Uschi lobt mich, dass ich heute einmal nicht gemeckert und gemurrt habe und stimmt dem Plan zu, morgen mit dem Bus nach Salamanca zu fahren. Offensichtlich ist ihr entgangen, dass ich zum Murren und Meckern nicht genügend Luft hatte.

     

    Baños de Montemayor galt einmal als das Heilbad Spaniens. Das muss allerdings schon lange her sein, denn der Ort hat ganz offensichtlich auch schon bessere Zeiten gesehen. An fast allen Häusern bröckelt der Putz von den Wänden, Balkone sind mit Stahlträgern abgestützt, Fensterscheiben eingeworfen. Wir quartieren uns am Ende der Hauptstraße im Hostal Galicia ein, dass heute erst öffnet, nachdem es wohl längere Zeit geschlossen war. Wir spazieren durch das kleine Städtchen und ich überlege sogar kurz, dem Heilbad einen Besuch abzustatten, verwerfe den Gedanken aber wieder. Später auf dem Zimmer buche ich via Internet die Busfahrkarten für uns und unsere Drahtesel und bin zum ersten Mal, seit wir in Mérida losgefahren sind, glücklich und zufrieden.


    Inzwischen schreiben wir Sonntag, den 2. April 2017 und wir stehen an der Bushaltestelle und warten auf den Bus nach Salamanca. Die Packtaschen stehen verladebereit neben unseren Rädern. Der Bus kommt und der Busfahrer ist nicht glücklich darüber, dass er zwei Fahrräder transportieren soll. Da wir für die Räder aber bereits eine Fahrkarte haben, bleibt ihm nichts anderes übrig, als diese auch mitzunehmen. Bin ich froh, dass ich online gebucht und bezahlt habe! Allerdings lässt er uns Lenker und Pedale abmontieren, bevor er Räder und Packtaschen im Laderaum verstaut. Er weist uns noch darauf hin, dass er für Beschädigungen an den Rädern keine Haftung übernimmt, was uns herzlich egal ist.


    Bereits die Fahrt aus dem Ort hinaus und hinauf auf den Pass Puerto de Béjar bestätigt uns in dem, was wir gerade tun und die Fahrt durch die Berge bis Salamanca räumt auch den letzten Zweifel aus. Ich bin heilfroh, dass ich diese 85 km nicht mit dem Rad fahren muss. In Salamanca habe ich uns für zwei Nächte ein Zimmer im Hostal Gaya, nicht weit von der Altstadt, gebucht. Wir stellen die Räder im Flur ab und ich versuche, nicht mehr daran zu denken.

  • Salamanca gehört mit zu den schönsten Städten, die ich auf meinen bisherigen Reisen gesehen habe. Zumindest hat sie die schönste Plaza, die ich kenne. Beherrscht wird die Stadt von der Universität und der neuen Kathedrale. Letztere wurde im 16. Jh. erbaut, wobei die alte Kathedrale aus dem 12. Jh. erhalten blieb. Die Gründung der Universität datiert auf das Jahr 1218. Im 16. Jh. hatte sie bereits an die 70 Lehrstühle und 12.000 Studenten. Im Reiseführer steht, dass sich damals schon ihr Ruf als eine der ältesten und berühmtesten Universitäten der Welt festigte. Auch heute noch ist Salamanca eine der bedeutendsten Universitätsstädte Spaniens, die vor allem bei ausländischen Studenten beliebt ist, die hier Spanisch lernen wollen.


    Wir lassen uns sehr viel Zeit für diese schöne Stadt, streifen durch Straßen und Gassen und landen immer wieder auf der Plaza Mayor, auf der Studenten aus aller Welt auf dem Boden in der Sonne liegen und das tun, was Studenten in Salamanca offenbar tun – nämlich es sich gutgehen lassen! Ich bestaune die zahlreichen alten Bauwerke der Stadt, während Uschi an jeder Ecke von den Bäckereien magisch angezogen wird. Bei unserem Stadtbummel treffen wir den Fahrrad-Franzosen wieder, was uns zeigt, dass er mit seinem Rad keine Probleme zu haben scheint. Ist ja auch sein eigenes und kein Leih-Fahrrad und er wohl ein geübter Radfahrer und kein Anfänger wie ich. Wir treffen ihn jedenfalls immer nur dann, wenn wir schummeln und kilometerlange Strecken per Bus oder Krankwagen mehr oder weniger abkürzen.


    Abends sind wir wieder auf der hell erleuchteten Plaza Mayor, die vor Menschen überquillt. Klar, es ist Sonntag, angenehm warm, Straßenmusikanten spielen, man trinkt Wein oder nimmt ein paar Tapas auf der Plaza. Es herrscht eine faszinierende Stimmung auf dem Platz, doch es ist kaum ein Durchkommen. So weichen wir schließlich in die Seitengassen aus und suchen den Weg zurück zu unserer Unterkunft.


    Plötzlich hören wir dumpfe Trommelschläge, die uns aus Córdoba gut bekannt sind. Richtig: wir befinden uns in der Woche vor der Semana Santa und die Costaleros üben wieder. Da wir durch die Gasse jetzt eh nicht durchkommen, sehen wir der Prozession zu. Die Vorhänge um die Pasos fehlen noch, sodass wir die Träger gut sehen können. Das heißt, hauptsächlich sehen wir viele kräftige Männerbeine. Ich frage eine der Begleitpersonen, wie viele Träger denn unter diesem Paso stehen und erfahre, dass es 80 sind. 80 Männer, die dieses Podest mit seinen Heiligenfiguren darauf tragen und noch zweimal 80 als Ablöse. Schließlich ist man bei den Prozessionen in der Semana Santa viele Stunden damit unterwegs. Die Trommelschläge geben nicht nur den Schrittrhythmus vor, sondern auch die Richtung und wann der Paso abgesetzt und wieder aufgenommen wird. Alles muss im genauen Gleichklang, bzw. Gleichschritt erfolgen, sonst fallen die Figuren, Kerzenständer und Blumenvasen darauf um. Nächsten Sonntag ist Palmsonntag. Ob wir wohl da, wo wir dann sein werden, Prozessionen zu sehen bekommen?


    Am nächsten Tag macht Uschi den Vorschlag, Stadt und Umgebung mit dem Fahrrad zu erkunden. Wir haben uns gestern so gut vertragen, dass ich nicht schon wieder nörgeln will, auch wenn ich überhaupt keine Lust aufs Fahrrad habe. Aber vielleicht geht es ohne Gepäck ja besser und man kommt, zugegebenermaßen, auch weiter herum. Wir fahren über die Puente Romano aus der Stadt hinaus und Richtung Süden. Beim ersten kleinen Anstieg hänge ich wieder und meine Laune wird schlechter und schlechter. Ich versuche, es hinunterzuschlucken, weiß aber nicht, ob mir das gelingt. Hierzu müsste man Uschi befragen, weil sie meine Launen schließlich aushalten muss. Ist ja sonst kein anderer da!


    Wir kehren dann auch bald wieder um, da es hier nicht wirklich was zu sehen gibt und es für mich keinen Unterschied macht, ob ich mit oder ohne Gepäcktaschen unterwegs bin. Allerdings befinden wir uns aktuell auf der Via de la Plata, fahren also auf historischem Weg wieder in die Stadt hinein und rasten in der Nähe der Puente Romano. Vor der Kirche der Hl. Ursula handle ich dann mit meinem Rad einen Waffenstillstand aus. Wenn es weiterhin so brav seinen Dienst tut, wie es das seit der Reparatur in Cáseres macht, will ich nicht mehr meckern. Oder nur noch leise!


    Am Nachmittag machen wir uns zusammen an eine neue Etappen-Planung. Bis Santiago werden wir bei meiner Tagesleistung sowieso nicht kommen, da können wir uns auch gleich mehr Zeit lassen. Ab jetzt bleiben wir mit unserer täglichen Strecke unter 40 km. Ich weiß, alle Radfahrer lachen sich jetzt schlapp, aber ihr könnt gerne mal 40 km laufen. Das kann ICH nämlich! Sogar über mehrere Tage hintereinander! Also wenn ich nicht gerade fußkrank bin!


    Bevor wir unsere Sachen für morgen wieder in die Satteltaschen packen, bitte ich unseren Hauswirt um Klebeband. Uschis Packtaschen lösen sich nämlich auf. Aber nicht in Wohlgefallen, sondern in ihre Einzelteile.

    Am Montag verlassen wir die Stadt nach Norden. Wir passieren drei Kreisverkehre und versuchen, dem lebhaften Verkehr auszuweichen und auf dieser Hauptverkehrsstraße nicht überfahren zu werden. Dann liegt die Stadt hinter uns. Eine Weile geht es noch auf der Nationalstraße 630  weiter, dann verlässt die Via de la Plata diese, bleibt aber immer parallel dazu. Auch die A 66 verläuft parallel zu unserem Weg. Es gibt kaum Höhenunterschiede und wir radeln friedlich nebeneinanderher. Ich schaffe es sogar ab und zu, vorauszufahren. Immer öfter passieren wir jetzt Weinfelder, die künstlich beregnet werden. Und dort, wo das Wasser bis auf den Feldweg spritzt, klauben wir mit dem derben Profil der Reifen ganz ordentlich Dreck auf. Es wird immer schwerer, das Rad vorwärtszubewegen. Eine Weile macht Uschi das noch mit, dann streikt sie. Ich halte zunächst noch dagegen, dass dies hier aber die original Via de la Plata ist, muss dann aber doch zugeben, dass es Blödsinn ist, sich hier zu quälen, wenn die N630 genau daneben verläuft. Noch dazu, wo diese wenig befahren ist, weil ja auch die A66 noch immer an unserer Seite ist. Wir satteln ab und hieven gemeinsam die schweren Räder über die Leitplanke.


    Nun kommen wir wesentlich schneller voran, sodass wir nachmittags bereits in El Cubo de la Tierra del Vino ankommen, welches nach neuer Etappen-Planung eigentlich unser Tagesziel wäre. Hier sitzen gleich mehrere Rad-Pilger vor einer Bar und wir gesellen uns dazu. Die beiden Mädels sind Spanierinnen, das deutsche Ehepaar kommt aus Amberg, den Franzosen kennen wir bereits und ich freue mich wie ein Schneekönig, dass wir heute genauso schnell sind, wie er. Er sagt zwar, dass er zwei Stunden später als wir in Salamanca gestartet ist, aber so genau will ich das gar nicht wissen!


    Wir sitzen eine ganze Weile gemütlich zusammen, dann brechen wir zwei auf ins 14 km entfernte Villanueva de Campeán. Dort soll es ein Restaurant und gleich zwei Herbergen geben, eine einfache, aber saubere, öffentliche, mit 10 Betten in einem Raum und eine private in einem, lt. Pilgerführer, netten, gepflegten, rustikalen Gebäude mit 12 Betten im Gemeinschaftsraum, einem Einzel- und zwei Doppelzimmern. Die Betten kosten in beiden Herbergen 6 €, das DZ 10 € pro Person. Wir überlegen nicht lange und entschließen uns für ein DZ.


    Allerdings trennt sich die Via de la Plata ab El Cubo von der N630 und führt ab hier nach Nordwesten, während die N630 und die A66 nach Nordosten verlaufen. Es geht also weiter über Feldwege, die an exponierten Stellen nach wie vor den Berieselungsanlagen ausgesetzt sind. Bevor wir Villanueva de Campeán erreichen, legen wir noch einmal eine Pause ein. Es ist warm, die Sonne scheint und es tut einfach gut, im Gras zu liegen und vor sich hin zu dösen. Nach einer Weile kommt ein Mann, etwa in unserem Alter vorbei, und ich unterhalte mich auf Spanisch mit ihm. Er will auch nach Villanueva und wir verabschieden uns mit der Gewissheit, uns heute nochmal zu sehen. Kurze Zeit später folgt ein jüngerer Mann und ruft dem Älteren auf Deutsch zu, er solle warten. Ich halte die beiden für Vater und Sohn. Manchmal bin ich aber auch naiv!


    Wir finden die private Herberge gleich, stellen die Räder ab und laufen die paar Meter zur Bar, wo man sich anmelden und bezahlen muss und den Pilgerstempel erhält. Als Radpilger braucht man da übrigens täglich zwei. Wenn man zu Fuß unterwegs ist reicht einer. Der Wirt schickt seinen Sohn mit, damit er uns die beiden Zimmer zeigt, von denen wir uns eines aussuchen dürfen. Nun, beide sind gleich spartanisch eingerichtet, die Betten kann man nicht wirklich als solche bezeichnen, sondern sind eher ausrangierte Sofas. Direkt viel Platz haben wir nicht darin. Egal, wir machen ja nicht Urlaub, sondern pilgern. Da muss man auch Opfer bringen. Wir richten uns nur kurz ein und schlendern dann wieder hinüber zur Bar, wo wir uns ein Gläschen gönnen. Dazu reicht der Wirt selbst eingelegte Oliven und die sind so gut, dass wir mehrmals einen Nachschlag holen.


    Der vermeintliche spanische Vater und sein deutscher Sohn treffen auch bald ein und wir lassen uns zusammen an einem Tisch im Hinterhof nieder und plaudern bei einem weiteren Gläschen. Plötzlich schnappt sich der Vater seine Kamera und kriecht unter den Tisch, weil er da zwei Bienen fotografieren will, die aufeinandersitzen. Und ich, in meiner Naivität, sage ohne jeglichen Hintergedanken: Ach guck an, nicht nur Bienchen und Blümchen, sondern auch Bienchen und Bienchen! Die Blicke, die ich ernte, zeigen mir deutlich das Fettnäpfchen, in das ich gerade getreten bin. Der Spanier und sein deutscher Mann verabreden sich aber trotzdem mit uns zum Abendessen.


    Vorher spazieren wir aber noch ein bisschen durchs Dorf. Es ist sehr beschaulich und übersichtlich hier und wir fragen uns im Hinblick auf den Sohn des Wirtes, der die ganze Zeit über in der Bar herumlungert, welche Perspektive junge Leute hier in dieser gottverlassenen Gegend wohl haben.


    Der Abend wird recht nett. Es kommt auch das deutsche Paar aus Amberg hinzu, die wir schon vom Nachmittag her kennen. Die beiden wohnen in keiner der beiden Herbergen, sondern sind etwas nobler in einer Posada untergekommen. In unserer Herberge ist vor einer Stunde noch eine junge Holländerin mit ihrem Fahrrad angekommen. Sie wollte aber nicht zum Restaurant mitkommen, sondern hat sich gleich schlafengelegt.


    Als wir am Morgen weiterfahren, folgen wir zunächst der Schotterpiste aus dem Dorf hinaus, treffen bald auf eine kleine Asphaltstraße und als die Via de la Plata von dieser wieder rechts auf einen Feldweg abbiegt, bleibt Uschi auf der Straße und fährt geradeaus weiter. Mein Rufen hört sie nicht, oder will es nicht höre, was aufs Gleiche hinausläuft. An der ersten Kreuzung im nächsten Dorf findet sie natürlich keinen Pfeil und wartet auf mich. Okay, offenbar hat sie mich wirklich nicht gehört und den Abzweig übersehen. Wir orientieren uns bei Google Maps und fahren auf Landstraßen weiter bis Zamora. Da wir jetzt aber nicht auf markiertem Weg sind, kommen wir auf einer ganz anderen Straße in die Stadt und fahren erst einmal durch wenig sehenswerte Stadtviertel. Doch dann erreichen wir auch hier eine von den Römern erbaute Brücke über den Fluss Duero. Ich zähle inzwischen nicht mehr mit, über wie viele Puentes Romanos wir schon gefahren sind. Plaudernd überqueren wir den Duero und werden auf der anderen Seite von einem Mann in Empfang genommen, der uns mit den Worten begrüßt: „Hallo Landsleute, der kürzeste Weg nach oben führt links weiter.“ Etwas irritiert fahren wir in die angegebene Richtung.


    Die Stadt Zamora zieht uns sofort in ihren Bann. Die Altstadt hat etwas ganz Besonderes an sich und uns ist sofort klar, dass wir diese Stadt etwas genauer unter die Lupe nehmen wollen. Doch wohin mit den Fahrrädern? Klar, wir können sie an irgendeine Laterne oder ein Geländer anketten, den Code für das Zahlenschloss kennen wir jetzt ja. Aber was machen wir mit den Packtaschen? Ob deren Inhalt noch da sein wird, wenn wir von unserer Besichtigungstour zurückkommen? Ich habe die Idee, bei der Polizei nachzufragen, ob wir die Packtaschen dort ein oder zwei Stunden deponieren dürfen. In einer Bar hat das ja auch schon mal geklappt. Doch die Polizisten Zamoras sind nicht so zuvorkommend wie die Kellner in Cáseres. Als ich die Polizeistation verlasse, treffe ich Uschi im angeregten Gespräch mit dem Mann von der Brücke an. Er ist auch mit dem Fahrrad unterwegs. Allerdings nicht auf der Via de la Plata, nein, er fährt mit seinem Rad kreuz und quer durch Spanien. Er behauptet, dass er in Berlin im Innenministerium arbeitet und Diplomatenstatus hat. Er wohnt im Parador von Zamora, einem ganz exklusiven Hotel, und nimmt uns kurzerhand dorthin mit, wo er die Empfangsdame fragt, ob wir die Räder in der Tiefgarage abstellen dürfen. Dem Herrn Diplomaten wird dieser Wunsch natürlich nicht verwehrt. Wir wollen ihn noch auf eine Tasse Kaffee einladen, doch das lehnt er ab und verabschiedet sich von uns. Und wir schauen uns im Parador erst einmal ausgiebig um, wenn wir schon mal da sind!


    Dann laufen wir zur Kathedrale von Zamora, weiter zum Castillo und über die Plaza de San Isidoro wieder zurück in die Altstadt. Wegen der vielen Baudenkmäler aus dem Hochmittelalter wird Zamora auch „Museum der Romanik“ genannt. Was wir hier zu sehen bekommen, gefällt uns ausgesprochen gut. Schließlich holen wir die Fahrräder wieder ab und setzen unseren Weg fort, der aber gar nicht so leicht zu finden ist. Den ersten Pfeil entdecken wir an der N630 und folgen ihr ein kurzes Stück, doch biegt diese schon bald nach rechts ab, während wir geradeaus auf einer ziemlich neuen Straße bleiben.

  • Es geht dahin, wir kommen gut vorwärts und radeln gut gelaunt durch eine eher eintönige Gegend. Wir sind schon ganz schön lange unterwegs, ehe uns auffällt, dass wir länger keinen gelben Pfeil mehr gesehen haben. Auch keine andere Wegmarkierung. Eigentlich schon seit Zamora nicht mehr. Rechts kommt ein Abzweig zu einem kleinen Dorf mit Namen Andavías und wir fahren von der Straße ab. Im Dorf gibt es eine Bar, in der ich frage, ob wir hier schon noch auf dem richtigen Weg nach Montamarta sind. Sind wir natürlich nicht! Wir hätten in Zamora auf der N630 bleiben bzw. auf sie abbiegen sollen. Es ist aber nicht ganz so schlimm wie es zunächst scheint, denn gar so weit sind die beiden Straßen nicht auseinandergedriftet. Es gibt von Andavías aus eine direkte Verbindungsstraße nach Montamarta.


    Wir trinken erst einmal eine Tasse Kaffee bei dem auskunftsfreudigen Wirt und fahren dann in die angegebene Richtung. Am Ortsausgang geht die Straße in eine Schotterpiste über. Auf dieser fahren wir knapp 8 km immer geradeaus, überqueren die Bahnlinie und müssten eigentlich auf einen riesigen Stausee treffen, bzw. auf einen Seitenarm davon. Es ist aber weit und breit kein Wasser zu sehen. Dennoch passieren wir nach einer halben Stunde das Ortsschild von Montamarta und fragen den erstbesten Passanten nach einer Unterkunft. Wir mieten heute gleich ein ganzes Haus, samt schönem Innenhof, zum gleichen Preis, für den wir gestern das schäbige Doppelzimmer hatten. Die Vermieterin erklärt uns noch den Weg zum nächsten Lebensmittelgeschäft und empfiehlt uns für den Abend ein Restaurant. Nachdem wir uns etwas frisch gemacht haben, gehen wir einkaufen und staunen nicht schlecht, als wir unsere Vermieterin hinter der Ladentheke antreffen.

     

    Vor dem Abendessen bekommen unsere Räder mal eine kurze, oberflächliche Reinigung und wir machen uns zu Fuß auf die Suche nach dem Stausee. Als wir kurz vor dem Friedhof eine langgezogene Senke durchqueren behauptet Google Maps, wir würden mitten im Stausee stehen. Nun, der scheint ausgetrocknet zu sein. Das Restaurant, das wir später aufsuchen, macht von außen nicht den besten Eindruck, doch innen sieht es ganz passabel aus. Ein junger Mann empfängt uns, fast noch ein Kind, führt uns an einen Tisch und ruft dann seine Mutter an. Inzwischen überrascht es uns nicht mehr, dass gleich darauf unsere Vermieterin erscheint und in der Küche verschwindet. Das Essen schmeckt ausgezeichnet, aber die Betten im Ferienhaus sind sehr weich und durchgelegen.

     

    Am Abend arbeitet Uschi eine neue Etappen-Planung aus. Sie will nicht mehr weiter auf der Via de la Plata und damit auf Schotterpisten und Feldwegen bleiben, sondern möchte Straße fahren. Sie hat entdeckt, dass der Jakobsweg 24 km weit schnurgerade nach Norden führt, dann nach Westen abbiegt und nach weiteren 26 km auf den Ort Tábara trifft. Folgt man aber der N631 von Montamarta aus, kürzt man ein ganzes Stück ab und kommt schon nach 27 km in Tábara an. Die letzten Tage lief es so gut mit uns, dass ich nicht mehr streiten mag und deshalb einwillige.


    Wir fahren am Morgen direkt zur N630 und biegen wenige Kilometer nördlich von Montamarta auf die N631 ab. Anfangs herrscht hohes Verkehrsaufkommen, doch ab der N631 wird es ruhiger. Wir fahren durch eine schöne, abwechslungsreiche Gegend und überqueren auf Brücken immer wieder den Stausee. Eigentlich kann man das gar nicht Stausee nennen. Hier staut man den Rio Esla, einen Nebenfluss des Duero, und dessen Zuflüsse zur Stromgewinnung auf, wodurch eine Wasserfläche von   57 km² entsteht. Aber nicht als einziger, großer See, sondern jeder Zufluss staut sich kilometerweit zurück. Auf der Karte sieht das aus, wie ein großes Spinnennetz, oder wie ein Krake. Daher auch die vielen Brücken. Einmal sehen wir in der Ferne eine beeindruckende Brückenkonstruktion, die ein Tal überspannt. In Tábara legen wir eine kurze Pause ein. Das Dorf gefällt mir recht gut. Der Jakobsweg heißt hier übrigens Camino Sanabrés. Bei Granja de Moreruela, 23 km nördlich von Montamarta, teilt sich der Jakobsweg nämlich. Die Via de la Plata führt dort geradeaus weiter, bis sie noch weiter nördlich, bei Astorga, auf den Camino Francés trifft. Der Camino Sanabrés führt dagegen parallel zum Camino Francés durch das gallizische Bergland nach Santiago de Compostela. In Tábara führt der Jakobsweg wieder nach Norden und später erst nach Westen, aber wir bleiben weiter auf der N631.

     

    Wir haben teilweise starken Gegenwind und in der zweiten Tageshälfte wird die Strecke auch wieder hügeliger, was bei mir zu den altbekannten Problemen mit dem Vorwärtskommen führt. Aber ich murre nicht, auch nicht leise, sondern strample gegen den Wind und bin heilfroh, als wir endlich nach insgesamt 50 km den Ort Otero de Bodas erreichen. Otero de Bodas bedeutet Hochzeitshügel. Ich bin kaputt, mir reichts für heute. Dadurch, dass wir nicht mehr auf der Pilgerroute sind, gibt es hier auch keine Pilgerherbergen. Aber bei Google Maps sind drei Übernachtungsmöglichkeiten eingezeichnet. Wir stellen die Räder vor einer Café-Bar an der Nationalstraße ab und ich frage drinnen, ob jemand weiß, wo diese Unterkünfte sind. Es sind fast nur alte Leute in der Bar und alle schauen mich an, als sei ich von einem anderen Stern auf die Erde gefallen. Man schickt uns ein paar Nebenstraßen weiter. Dort soll es zwei FeWos geben, die irgendwelchen Leuten aus Madrid gehören. Wir lassen die Räder stehen und gehen die paar Meter zu Fuß. Die zwei Ferienwohnungen finden wir zwar, treffen dort aber niemanden an.  Im Rathaus gibt es eine Info-Stelle. Doch das Rathaus ist nur an zwei Tagen in der Woche geöffnet. Der heutige Tag gehört nicht dazu. Also zurück zur Café-Bar. Man ist unverändert unfreundlich und als wir einen Kaffee und etwas zu essen bestellen wollen, wird uns das verweigert. Ich frage noch, wo denn das nächste Hotel ist, und erhalte auch hierauf keine Antwort. Uns bleibt nichts anderes übrig, als auf der N631 weiterzufahren.

     

    Fassungslos gehen wir zurück zu den Rädern. So etwas habe ich in ganz Spanien noch nicht erlebt! Als wir gerade losfahren wollen, kommt ein etwas jüngerer Mann aus der Bar und weist uns auf eine Tankstelle am Ortsausgang hin, in der wir sicher etwas zu essen bekämen. Dann schleicht er zurück in die Bar. Vermutlich wird er vom Club der Alten Männer jetzt geächtet, weil es uns geholfen hat. Seit Tipp ist jedenfalls Gold wert, denn in der Tankstelle rettet man uns wirklich vor dem Verhungern. Gegenüber entdecken wir auch die dritte Unterkunft des Dorfes. Ein Hotel, bei dem das Dach bereits eingestürzt ist. Vom Tankwart erfahren wir, dass es die nächsten Unterkunfte erst in Mombuey gibt. Dort treffen wir wieder auf den Camino Sanabrés und daher auch auf mehr Herbergen und die eine oder andere Pension. Bis Mombuey sind es noch 20 km. Die heutige Tagesetappe bringt es dadurch auf 70 km. Ich beiße die Zähne zusammen und setze mich wieder auf mein Rad.



  • Etwa einen Kilometer vor Mombuey, mündet die N631 in die viel befahrene N525. Dort gibt es eine Tankstelle und ein Motel. Ich fahre aktuell voraus, weil Uschi kurz ihre desolate Packtasche richten musste, und warte am Motel auf sie. Doch Uschi fährt an mir vorbei und ich folge ihr ins Dorf hinein. An der Hauptstraße finden wir relativ schnell die Pension, die einen sehr verlassenen Eindruck macht. Hier beherbergt man mit Sicherheit schon lange keine Gäste mehr. Die Pilgerherberge ist auch schnell gefunden und macht einen ebenso heruntergekommenen Eindruck. Doch sie ist geöffnet. Gerade als wir hineinwollen, kommen zwei deutsche Radpilger heraus und warnen uns davor, die Herberge zu betreten, weil diese von Bettwanzen regelrecht belagert wird.

     

    Ohne ein weiteres Wort steige ich auf mein Fahrrad und fahre zurück zum Motel an der Tankstelle. Uschi würde zwar lieber noch weiterfahren, folgt mir aber zum Motel. Wir lassen die Packtaschen erst einmal am Rad und ich frage drinnen nach einem freien Zimmer. Die junge Frau an der Rezeption will wissen, ob wir reserviert haben. Dann erklärt sie mir, dass sie gerade noch ein freies Zimmer haben, das aber reserviert sei. Sie muss die Chefin fragen. Die Chefin bestimmt dann, dass wir das Zimmer haben können, weil eine Reservierung nur bis 18:00 Uhr gültig ist, die Uhr aber inzwischen 19:00 Uhr anzeigt. Ich bin überglücklich, zücke meinen Personalausweis und fordere Uschi auf, den ihren auch herauszusuchen. Doch es kommt zum nächsten Knatsch zwischen uns, und diesmal ist er heftiger als alle vorhergegangenen. Uschi möchte nämlich erst das Zimmer sehen, bevor sie eincheckt. Diesmal breche ich nicht zusammen, sondern explodiere. Ich bin heute 30 km weiter gefahren als an allen Tagen davor, ich habe nicht einmal gejammert oder gemurrt, ich bin fix und fertig und will nur noch ein Bett, in dem keine Wanzen wohnen. Wir haben in Stockbetten neben den Toiletten geschlafen und in einem Doppelzimmer, das fast kein Mobiliar aufwies. Mir ist es scheißegal, wie dieses Zimmer aussieht, ich will es haben! Ich knalle meinen Ausweis, samt Kreditkarte auf den Tisch und fauche Uschi an, dass sie gerne weiterfahren könne. Ich bleibe hier in diesem Motel!

     

    Die nächste Stunde verbringen wir schweigend nebeneinander auf dem Bett und tippen in unsere Handys. Dann frage ich per WhatsApp bei Uschi an, ob sie nochmal mitkommt, zu Fuß eine Runde durchs Dorf zu drehen. Abendessen gibt es nämlich erst um 21:00 Uhr. Ziemlich gereizt meint sie, ich könne durchaus auch mit ihr reden. Wir gehen die Runde durchs Dorf noch, lassen die Köpfe ausrauchen und kommen beide wieder etwas herunter. Beim späteren Abendessen sind wir wieder ein Herz und eine Seele und Uschi überrascht mich mit einem Geschenk, das sie an der Rezeption des Motels gekauft hat: einen Schlüsselanhänger in Form einer Muschel, mit dem Jakobskreuz drauf. Uschi weiß, dass mir das Jakobskreuz mehr bedeutet als die Jakobsmuschel. Ich sag ja, egal wie oft wir streiten, es hält nie lange an und normalerweise nenne ich Uschi meine Seelenschwester. Ich bin sicher, das Schicksal hatte eigentlich für uns vorgesehen, dass wir Zwillinge werden, aber ihr blöder Storch hat sich damals verflogen und sie drei Monate später 100 km weiter weg abgeworfen. Nun, wir haben trotzdem zueinandergefunden, uns dann, nach der Schule, aus den Augen verloren, vermutlich nach einem dummen Streit, und sind uns nach 35 Jahren auf einem Klassentreffen wieder über den Weg gelaufen.

     

    Nach dem Abendessen beschließe ich, morgen nur noch bis Puebla de Sanabría zu radeln und übermorgen per Bus nach Ourense zu fahren. In Sanabría soll es eine Fahrradwerkstatt geben und in der werde ich mein Fahrrad abgeben. Wenn Uschi noch weitermachen will, kann sie das gerne tun. Ohne mich als Bremsklotz kommt sie sicher schneller vorwärts. Ourense soll eine schöne Stadt sein, mit diversen Thermalbädern. Ich werde dort auf sie warten und wir können in sechs Tagen mit dem Zug gemeinsam nach Madrid zum Flugplatz fahren. Uschi überrascht mich an dem Abend ein zweites Mal und erklärt, dass sie nicht allein weitermachen will, sondern sich mir anschließt. Vale! wie der Spanier sagt. Ich buche via Booking.com ein Hotelzimmer für eine Nacht und beende damit innerlich die diesjährige Etappe.


    Auf der N525 fahren wir am 7. April 2017 gemütlich ins Städtchen Puebla de Sanabria, dem dieser Abschnitt des Jakobswegs seinen Namen verdankt. Gegen Mittag verlassen wir die N525 an einer großen Raststätte und biegen ab ins Tal, in dem die Flüsse Río Tera und Río Castro zusammenfließen. Auf der anderen Seite erhebt sich auf fast 1000 m Höhe die Altstadt, welche die 600 Jahre alte Burg der Herzöge von Benavente umgibt. Dort oben ist unser Hotel! Wir schieben die Räder hinauf, bis vor die Türe des Hotels Viktoria. Nomen est omen! Viktoria – Sieg! Jawohl, ich habe gesiegt! Dieses blöde Rad hat mich nicht untergekriegt, auch wenn es die ersten zwei Tage danach aussah! Ich habe es bis 250 km vor Santiago geschafft. 517 km! Dass ich davon 118 km nicht aus eigener Kraft, sondern mit dem Bus zurückgelegt habe, wurmt mich allerdings.

     

    Natürlich könnte man auch sagen, das Rad hat gesiegt. Wenn wir mit einer Tagesleistung wie der gestrigen weiterfahren würden, könnten wir in vier Tagen in Santiago de Compostela ankommen. Dann würde es uns aber so ergehen, wie auf meiner ersten Pilgerreise nach Santiago und wir hätten nur ein paar Stunden für diese schöne Stadt, bevor wir uns am Flugplatz einfinden müssten. Und wir wollen ja auch bis nach Finistere – an den Atlantik.

    Und außerdem habe ich keinen Bock mehr aufs Radfahren! Für mich steht fest, dass ich mit einem Fahrrad nie wieder weiter fahren werde als bis zum Bäcker!

     

    So rufe ich die Chefin des kleinen Hotels an und bitte darum, dass wir jetzt schon Räder und Gepäck unterstellen können. Innerhalb weniger Minuten ist die junge Frau da und wir dürfen sogar schon einchecken und aufs Zimmer. Als ich zahlen will, lehnt sie ab und behauptet, Booking.com würde den Betrag von der Kreditkarte abbuchen. Das ist mir zwar neu, dass Booking.com das so handhabt, aber sie wird´s schon wissen.

     

    Wir verbringen einen ganzen Tag in dem mittelalterlichen, beschaulichen Ort, 24 Stunden Erholung! Ohne Plackerei, ohne Gemurre, Genörgel und Streiterei. Allerdings gibt es hier in Puebla keine Fahrradwerkstatt mehr. Gegen Mittag des nächsten Tages fahren wir deshalb wieder runter zum Fluss, schieben hoch zur N525, wo an der Raststätte der Bus halten soll. Wir essen dort oben zu Mittag und warten dann an der Haltestelle. Die Fahrkarten habe ich bereits wieder online gekauft. Diesmal ist es eine längere Auseinandersetzung mit dem Busfahrer bis er sich endlich widerwillig bereits erklärt, uns und die Fahrräder mitzunehmen. Warum bietet die Busgesellschaft es dann an, wenn die Fahrer sich so dagegen wehren. Aber bezahlt ist bezahlt und dann geht das Ding auch mit!

     

    In Ourense mieten wir uns im ****Sterne-Hotel Barceló direkt am Park San Lázaro ein Zimmer für vier Nächte. Die Fahrräder kommen erst einmal in die Tiefgarage und wir beide ziehen los, kaufen einen halben Liter Bodylotion für unsere doch recht ausgetrocknete Haut und eine große Flasche Haar-Repair-Oil für unsere Haare, die aussehen wie Stroh. In den Boutiquen der Stadt kleiden wir uns neu ein. Und wir gönnen uns erstmals ein Eis. Bisher war mir das Eis auf meinen Reisen durch Spanien immer zu teuer. Ich zahle doch keine drei Euro für eine Kugel! Aber heute wollen wir feiern! Und als wir feststellen, dass nicht eine Kugel, sondern eine Portion gemeint ist und diese so groß ist wie ein Kinderkopf, bleibt es nicht das einzige Eis in den nächsten vier Tagen.

     

    Am nächsten Tag suchen wir den Fahrradhändler auf, lassen uns einen Eimer Wasser und eine Bürste geben, reinigen die Räder notdürftig und stellen sie im Lager ab, wo bereits die Kartons für den Rücktransport zum Verleiher stehen. Bis zu unserer Abreise werden wir sie nicht mehr brauchen! Bis es aber soweit ist, lassen wir es uns so richtig gutgehen in dieser gallizischen Stadt mit ihrem besonderen Flair. Wir fahren mit der Bummelbahn zu den öffentlichen, kostenlosen Thermalbädern außerhalb der Stadt, flanieren über die Puente Romano und durch die Altstadt, liegen stundenlang am Ufer des Río Miño und schlemmen abends in einem der vielen Straßenlokale leckeren Tintenfisch. Am Palmsonntag nehmen wir am Umzug teil, der hier so ganz anders abläuft als in Andalusien, und besuchen schließlich den Gottesdienst in der Kathedrale von Ourense.

     

    Somit endet unsere diesjährige Etappe und ich bin irgendwie froh, dass es vorbei ist. Sicher, wir hatten auch viele angenehme Momente, aber der Frust über die Schwierigkeiten, die ich beim Radfahren hatte und habe, überlagert diese. Ich bin noch nie gerne Rad gefahren. Ich habe auch auf all meinen bisherigen Wanderungen die Radfahrer nicht verstehen können, die nur Strecke machen wollen und die Schönheiten abseits des Weges dabei übersehen oder nicht beachten. Im Nachhinein gesehen, gäbe es auf der Via de la Plata so viel Sehenswertes, dem ich viel mehr Zeit gewidmet hätte, wäre ich zu Fuß unterwegs gewesen.


    Ich bin auf den Jakobswegen unterwegs, um zu sehen und zu genießen, nicht, um irgendwo anzukommen!

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