Els tres monts

Els Tres Monts

2012 hatte ich meinen jüngsten Neffen Sebastian zu einer Wanderung eingeladen. Es war mein Geschenk zu seinem 16. Geburtstag und er hätte sich aussuchen können, wohin es gehen sollte, hatte aber keine Idee und war offen für alles. An der Reaktion seines um drei Jahre älteren Bruders Benjamnin merkte ich, dass auch er gerne mitkommen wollte und ich suchte für uns eine mehrtägige Wanderung durch drei Naturparks nördlich von Barcelona aus. 


Der Trail "Els tres Monts" startet in Monseny, durchquert Sant Llorenç i l’Obac und endet am Kloster in Montserrat.


Die Reise war von Anfang an ein mittleres Fiasko. Am Sonntag, dem 1. April kamen die beiden spät abends mit dem Auto bei mir an, nachdem sie sich auf den letzten Kilometern noch verfahren hatten. Einen Großteil ihrer Ausrüstung hatten sie entweder von anderen Familienmitgliedern zu Weihnachten geschenkt bekommen oder von mir ausgeliehen. Sie war aber noch nicht vollständig. So fuhren die zwei am Montagvormittag zum ortsansässigen Outdoor-Ausstatter und kauften noch diverse Gegenstände ein. Als sie dann nach der Rückkehr zum Hof ihre Einkaufstaschen auspackten, konnte Benni seinen Geldbeutel nicht finden. Hektisch wurde das ganze Auto durchwühlt und als er hier nicht zu finden war und auch das Handy vermisst wurde, fiel ihm wieder ein, dass er beides auf dem Autodach abgelegt hatte, bevor er in der Stadt losgefahren war. Im Portemonnaie war alles drin, was er an Dokumenten bei sich gehabt hatte: Personalausweis, Führerschein, EC-Karte, Gesundheitskarte.


Jetzt musste die Tante aktiv werden. Ich schickte Sebi zu Fuß los und ließ ihn die ganze Strecke vom Stadtplatz bis zu uns heim alles absuchen. Im Gemeindeamt rief ich an und erkundigte mich, wie schnell man einen Ersatz-Ausweis erstellen konnte und ob eine fremde Gemeinde das überhaupt dürfe. Ich rief meine Schwester an, damit sie bei ihrer Heimatgemeinde veranlassen würde, dass man eine Kopie der Geburtsurkunde an unser Gemeindeamt faxte. Mit Benni fuhr ich zum Fotografen, um neue Passfotos erstellen zu lassen, ich selbst besorgte einen großen Blumenstrauss für die Beamtin im Rathaus, die versprochen hatte, auf uns zu warten. Eigentlich wurde das Meldeamt nämlich um 14 Uhr geschlossen. Die EC-Karte ließ meine Schwester gleich bei der Bank sperren. Um genau 14:07 Uhr trafen wir im Rathaus ein und Benni erhielt einen vorläufigen Reisepass. Die ganze Aktion kostete 50 € Gebühr plus Passfotos, und die Mitarbeiterin im Rathaus freute sich sehr über den Blumenstrauss.


Am 3. April flogen wir von München nach Barcelona. Der Flug war verspätet, weil die französischen Fluglotsen streikten und dadurch der Luftraum über Frankreich zeitweilig gesperrt war. Ich hatte aber weder Bahn- oder Bustickets, noch ein Taxi für die Weiterfahrt ab Barcelona gebucht und wir waren dadurch recht flexibel. Am Ende unserer Wanderwoche waren noch ein paar Tage in Barcelona geplant, zu denen meine Nichte und meine Mutter dazukommen wollten. Die Unterkünfte für diese paar Tage hatte ich schon gebucht und wir konnten einen Teil unseres Gepäcks dort im Hotel lassen. Mit Rucksack und Wanderausrüstung fuhren wir mit der U-Bahn zum Bahnhof von Sant Celoni. Dort ergatterten wir das einzige vorhandene Taxi und ließen uns zum Campingplatz von Can Cervera bringen, wo wir nach 30minütiger Fahrt eintrafen. Ich hatte uns hier für zwei Nächte eine Ferienwohnung gemietet und wollte am nächsten Tag erst einmal einen Probelauf mit den Jungs veranstalten. Geplant war eine Wanderung zum Gipfel des Turó de ´l Homme.


Nachdem wir uns in der FeWo etwas eingerichtet hatten, brachen wir zunächst aber zum Dorf Montseny auf, um dort zu Mittag zu essen. Wir brauchten nicht ganz eine Stunde für den Weg hinunter und stellten fest, dass das einzige Restaurant des Ortes gerade Mittagspause hatte. Der Wirt saß mit seiner Familie beim Essen, für Gäste gab es nix. So besichtigten wir nur kurz das Dorf, kauften beim Metzger ein paar Wildschwein-Würste ein und wanderten wieder zurück zum Campingplatz. Es war nicht besonders warm und der Nebel erschwerte etwas die Orientierung, außerdem führte der Rückweg beständig bergauf, sodass wir fast eineinhalb Stunden dafür brauchten. Der Nachmittag war damit bereits fast vorbei und wir erreichten den Campingplatz erst in der Dämmerung. Zum Glück konnte man bei den Betreibern des Campingplatzes ein paar Grundnahrungsmittel kaufen: Brot, Milch, Mehl, Eier und Rotwein. Der Hauswirt hatte auch bereits Brennholz und Zunder gebracht und bald schon brannte ein lustiges Feuer im Kamin. Während Sebi für den Erhalt der Glut zuständig war und Benni einen deutschen Sender im Fernseher suchte, richtete ich mit dem Brot und den Wildschein-Würsten das Abendessen her und zauberte zum Nachtisch Pfannkuchen.


Der Hüter des Feuers war bereits vor dem Essen eingeschlafen und auch der Programmdirektor saß mit der Fernbedienung mit schläfrigem Blick vor der Glotze. Den Abwasch erledigten wir nach unserer kargen Mahlzeit noch gemeinsam, dann ging ich zu Bett. Und auch die beiden Jungs verließen die Stube und stiegen ein Stockwerk höher, wo sich ihr Zimmer genau über meinem befand. Die Decke bestand nur aus Dielenbrettern und ich konnte unten nicht nur jeden Schritt, sondern auch jedes Wort hören. Den beiden Jungs war diese Tatsache aber nicht bewusst, obwohl ich mehrmals laut hustete und sogar zu pfeifen anfing, um sie darauf aufmerksam zu machen. Einer der beiden jammerte nämlich ordentlich herum, dass er eigentlich gar keine Lust zu der blöden Wanderung hätte und lieber in Barcelona am Strand liegen würde, statt ab morgen für fünf Tage durch Nebelwald zu ziehen.


Ich schlief mit sehr gemischten Gefühlen ein, während ich mich zum wiederholten Male fragte, worauf ich mich da wohl eingelassen hatte.



Als ich am Morgen erwachte regnete es Bindfäden und ich zog mir die Decke über den Kopf und schlief nochmal ein. Um neun stand ich auf und bereitete das Frühstück zu. Ich war entschlossen, auch bei Regen mit den beiden Jungs loszuwandern. Schließlich konnte es auch in den nächsten Tagen immer mal regnen und wir müssten trotzdem weiterlaufen. Im Zimmer oben war noch nichts zu hören. Ich klopfte an die Tür und erhielt auch Antwort. Ich habe keine eigenen Kinder und bin daher etwas unerfahren in der Frage, wie oft man Jugendliche und fast Erwachsene wecken muss, bis sie endlich aufstehen. Doch ich sollte es an diesem Tag lernen!


Nach einiger Zeit rief ich mehrmals nach den beiden und schließlich frühstückte ich allein und machte beim anschließenden Abwasch ziemlich viel Krach. Ich war sauer! So hatte ich mir meinen Urlaub nicht vorgestellt. Gegen zwölf schrieb ich einen Zettel, auf dem stand, dass ICH jetzt zum Wandern gehen würde und nicht wisse, wann ich zurückkommen würde und ob überhaupt. Ich legte 20 € zum Zettel, schrieb noch drauf "Fürs Mittagessen", packte meinen Rucksack und verließ türenknallend das Haus. Keine drei Sekunden später wurde oben das Fenster geöffnet und Sebi rief, ich solle warten, er wolle mitkommen.


Nach dem nächsten heftigen Regenguss und einer ausgiebigen Grundsatzdiskussion über den weiteren täglichen Tagesablauf, das Wecken und den Startzeitpunkt einer Tagestour im Allgemeinen und die Durchführung der Tour im Besonderen, brachen wir gegen 13:15 Uhr zu einem ersten Rundkurs auf. Die Tour verlief zunächst schweigend und ohne spektakuläre Höhepunkte, da wir den Gipfel des Turó de ´l Homme wegen der Kürze des verbliebenen Tages nicht mehr in Angriff nehmen konnten. Die Umwelt versank weitgehend in Regen und Nebel und die Zeit dümpelte dahin. Bis Benni mitten im Wald einen Fußball fand. Plötzlich hatte ich wieder zwei fröhliche Jungs um mich, die für jeden Blödsinn zu haben waren und Rinnsale am Weg aufstauten, so dass riesige Pfützen entstanden, die dann durch ein ausgeklügeltes Abwassersystem auf der anderen Seite des Weges abgeleitet wurden. Wenn die zwei das in den nächsten Tagen auch so vor hatten, würden wir nicht weit kommen. Aber lustig war es!

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Am Donnerstag, dem 5. April brachen wir nach einem stärkenden Frühstück, bei strahlendem Sonnenschein zu unserer mehrtägigen Wanderung auf. Der erste Teil des Wegs war uns schon bekannt und führte zunächst ins Dorf Montseny, wo man auf Kilometer 0 des Wanderweges trifft. Hier nimmt die Route ihren Anfang und folgt über 106 km den Tälern und Höhenzügen der drei Mittelgebirge Montseny, Sant Llorenc Savall und Montserrat, bis sie am Kloster Montserrat ihr Ende findet. Wir wollten diese Strecke in vier Tagen bewältigen und für den ersten Tage hatten wir uns 22 km vorgenommen.


Die Stimmung war gut und wir kamen gut voran. An der ehemaligen Handelsstation Villa de Castanya legten wir eine ausgiebige Mittagspause ein und machten die Bekanntschaft eines älteren französischen Wanderers, mit dem ich ins Gespräch zu kommen versuchte. Er sprach aber weder Spanisch noch Englisch, wodurch sich die Unterhaltung auf ein fröhliches Bonjour reduzierte. Als eine Herde Schafe den Rastplatz für sich in Anspruch nahm und es auch noch zu nieseln begann, brach der Franzose wieder auf und wir folgten ihm wenige Minuten später. Sebi war das lustige Gangwerk des Wanderers aufgefallen und er machte sich ein wenig über die kleinen Tippelschrittchen lustig und meinte, so käme der Mann aber nicht weit. Benni stimmte seinem Bruder zu aber ich machte die beiden auf die kräftigen, muskulösen und braun gebrannten Waden des Franzosen aufmerksam, als wir diesen überholten, und sagte, mich würde nicht verwundern, wenn der Mann schon in Frankreich zu dieser Tour aufgebrochen wäre. Das konnten die beiden nicht recht glauben.


Wir hatten vereinbart, dass jeder von uns sein Tempo gehen sollte und alle halbe Stunde würde der erste (also die beiden) warten, bis auch der letzte (also ich) wieder aufgeschlossen hatte. Gleiches galt, wenn der Weg unklar sein sollte. Das klappte zunächst ganz gut, bis ich an eine Stelle kam, wo ich mir über den weiteren Wegverlauf nicht sicher war. Wir waren schon eine ganze Weile bergauf durch den Wald gelaufen und an dieser Stelle gabelte sich der Pfad. Rechts gings weiter den Berg hoch, geradeaus verschwand der Pfad sogleich um eine Kurve. Wegmarkierung konnte ich keine sehen. Ich ärgerte mich, dass die zwei hier nicht gewartet hatten und rief nach ihnen. Antwort erhielt ich keine und versuchte es mit dem Weg geradeaus. Hinter der Kurve stand Benni, grinste mich an und fragte: "Wo is´n der Kleine?" Ich schluckte meinen Ärger hinunter, grinste zurück und sagte: "Woher soll´n ich das wissen? Er war doch bei dir." Ich dachte natürlich, der "Kleine" hätte sich versteckt und würde mich gleich rücklings anspringen. Als ich aber sah, dass Benni jegliche Farbe aus dem Gesicht wich, sackte auch mir das Herz in die Hose.


Wir kehrten zurück zu der Stelle, an der auch Benni kurz unschlüssig gewesen war und weshalb er dann nach der Kurve auf mich gewartet hatte. Ich weiß bis heute nicht, ob Sebastian vor oder hinter Benjamin gelaufen war. Jedenfalls war er weg! Wir riefen nach ihm, keine Antwort. Wieder zurück, dahin, wo ich Benni getroffen hatte. Erneutes Rufen - jetzt hörten wir ihn antworten, konnten aber nicht lokalisieren, woher sein Rufen kam. Es hörte sich an, als käme es von unten aus der Schlucht und ich dachte mit Schrecken, er sei abgestürzt. Wir warfen die Rucksäcke zu Boden und teilten uns auf: ich kletterte ein Stück weit hinunter in die Schlucht, während Benni dem Pfad nach oben folgte. Nach wenigen Minuten hörte ich Benni rufen, dass er ihn gefunden hätte. Ich war zwar erleichtert, dass ihm nichts passiert war, aber auch sauer auf ihn. Warum hatte er an dieser unklaren Stelle nicht gewartet? Uns wäre die ganze Aufregung erspart geblieben! Wir trafen nur wenige Meter oberhalb dieser Kreuzung aufeinander. Er stand hocherhobenen Hauptes neben einer eigentlich weithin sichtbaren Wegmarkierung, die vorher weder Benni noch mir aufgefallen war.


Sebastian hatte sich dem Franzosen angeschlossen. Ihn hatte die Frage beschäftigt, ob der Mann wirklich in Frankreich gestartet war. Die beiden hatten sich auch ganz gut miteinander unterhalten können, denn Sebi hatte schnell herausgefunden, dass der Mann ein wenig Deutsch sprach. Und er war wirklich vor ein paar Wochen irgendwo in Frankreich gestartet und über die Pyrenäen gekommen. Er hatte ein Zelt dabei und wechselte zwischen Zeltübernachtungen und Pensionen ab. Sebi war mit ihm schon oben am Hochplateau gewesen, als er uns rufen hörte. Den Franzosen trafen wir abends in der Unterkunft wieder aber während er auf dem direkten Weg dorthin gelangt war, hatte wir uns auf den letzten Kilometern  noch verlaufen und einen Umweg von etwa drei km angehängt. Man sagt zwar, Umwege erweitern den Horizont, aber an diesem Tag hätte ich das nach der ganzen Aufregung nicht mehr gebraucht. Für die ganze Tour hatten wir somit zwei Stunden länger gebraucht als ich veranschlagt hatte, doch die sehr schönen Zimmer und das hervorragende Essen in der Pension entschädigten uns dafür.

Wir erfuhren in der Pension erst, welch exklusive Küche ich uns da ausgesucht hatte. Mercé ist Fernseh-Köchin und das schmeckte man auch. Wir wurden von ihr hervorragend bewirtet und durften mit unseren Tellern so oft wir wollten in die Küche marschieren und aus den riesigen Töpfen Nachschlag holen. Besonders das Herz der beiden Jungs erfreute sie am folgenden Morgen mit einem 5-kg-Glas Nutella zum Frühstück. Ich hatte erst für die nächste Nacht wieder eine Unterkunft gefunden, für diesen Abend hatte ich noch nichts und fragte daher bei Mercé nach. Sie machte uns dann nicht nur eine Unterkunft fix, sondern auch einen Abholservice. Direkt am Weg gab es keine Möglichkeit zu übernachten aber fünf km abseits des Weges bot ein Hotelbesitzer einen Transferdienst an. Wir sollten bis zum Kloster Sant Miguel del Fai laufen und dann im Hotel anrufen.


Für die Nacht darauf würde es aber schwierig werden, da es in annehmbarer Entfernung keine Unterkunft gäbe, meinte Mercé. Man könne sich aber vom gleichen Wirt noch einmal abholen lassen. Sie wollte mir nicht recht glauben, dass ich im Internet schon etwas gefunden, nur noch nicht reserviert hatte. Ich hatte die Nummer der Unterkunft und Mercé rief kurzentschlossen dort an und reservierte uns zwei Zimmer. Ich sollte ihr dann mitteilen, ob man die Pension weiterempfehlen könne.


So gingen wir gut gelaunt und ausgeruht die zweite Etappe an, nicht ahnend, dass dieser Tag unser ganz persönlicher "schwarzer Freitag" werden sollte. Das Wetter war gut,  die Temperaturen angenehm und es lag eine Strecke von 18 km mit 670 Höhenmetern im Aufstieg und 375 Hm im Abstieg vor uns. Sechseinhalb Stunden hatte ich, ohne Pausen, dafür vorgesehen und unserem Abholservice mitteilen lassen, dss wir voraussichtlich gegen 17:30 Uhr anrufen würden.


Die Tour führte über unwegsames Gelände an einem Cañon entlang stetig bergauf. Das Gehen war anstrengend auf dem teils aufgeweichten Grund aber die Ausblicke in die Schlucht grandios. Wir liefen wieder jeder sein Tempo und diesmal warteten die Jungs alle paar hundert Meter auf mich. Diese Lektion hatten sie gelernt! Gegen Mittag schlug das Wetter um und am Fuße von "La Trona", eines markanten Vorsprungs des nächsten Hochplateaus, verliefen wir uns, obwohl der Weg eigentlich gut markiert war. Wir waren einem Pfad gefolgt, der zwischen Sträuchern und Büschen gut sichtbar gewesen war. Nach etwa einem km kam es mir aber seltsam vor, dass so gar keine Wegmarkierungen mehr zu sehen waren. Einstimmig beschlossen wir umzukehren, wobei allerdings nur volljährige Tourteilnehmer stimmberechtigt waren. In diesem Fall sogar nur weibliche volljährige Tourteilnehmer. Während wir unsere Markierung wiederfanden, brach ein Gewitter los, das aber zum Glück nur wenige Minuten dauerte. Der Aufstieg zu La Trona verlief über Treppenstufen, die in den Fels geschlagen waren. Oben suchten wir uns ein trockenes Plätzchen für die Mittagspause. Dabei stellte ich fest, dass meine Kamera, die ich in der Jackentasche trug, einiges an Regenwasser abbekommen hatte. Als ich das Batteriefach öffnete, lief Wasser heraus. Sie machte noch ein Foto und gab dann ihren Geist auf. Gut, dass die Handykamera damals auch schon ganz brauchbare Aufnahmen liefern konnte.


Am Collet de les Pereres gabelt sich der Weg und wir richteten uns weiterhin nach der gelb-weißen Markierung, der wir nun schon seit zwei Stunden folgten. Dass der Fernweg seine eigene Markierung hat, verdrängte ich dabei wohl. Um 14:30 Uhr fiel mir auf, dass die Sonne nicht richtig stand. Da man der Sonne aber eigentlich kein Fehlverhalten anlasten kann, konnte das nur bedeuten, dass wir in die falsche Richtung liefen. Ein Blick auf den Kompass bestätigte dies. Ein Blick in die Karte brachte aber nicht die ersehnte Erleuchtung. Ich hatte schlicht und ergreifend keine Ahnung, wo wir uns befanden, wollte dies aber nicht wahrhaben und beschloss, weiter der gelb-weißen Markierung zu folgen. Irgendwo würde sie uns schon hinbringen. Den Jungs gegenüber ließ ich mir nichts anmerken.


Gegen 17:00 Uhr stießen wir nach einem waghalsigen Abstieg über Geröll an die Ruine einer Kirche. Zuerst glaubte ich, das sei das Kloster zu dem wir unterwegs waren, doch der Zerfall dieser Kirche war schon zu weit fortgeschritten, als dass dies so eine große Sehenswürdigkeit hätte sein können. Langsam musste ich zugeben, dass ich mich verlaufen hatte. Wir konnten nichts tun, als weiterzulaufen. Zurück war keine Option. Eine halbe Stunde später standen wir vor einer Berghütte mit Namen Cal Mestret. Ich konnte das auf der Karte nirgends finden. Nicht an der Stelle, an der ich mittlerweile glaubte zu sein, noch im Umkreis von zwei bis drei km. Es stand ein Auto vor der Hütte und ich klopfte an die Tür und fragte den jungen Mann, der öffnete, ob er mir in der Karte zeigen könne, wo genau wir uns befänden. Konnte er nicht aber er erklärte uns den Weg zum Kloster bzw. zum Dorf Riells del Fai. Demnach waren wir gar nicht so weit davon entfernt. Mit neuem Mut wanderten wir in die angegebene Richtung und standen bald an der Steilwand des Gipfelplateaus des Turó de les Onze Hores, von dem aus man ein Dorf und ein Kloster sehen konnte. Nur einen Abstieg fanden wir auch nach längerem Umherirren auf dem Plateau nicht. 


Zweimal trafen wir jetzt auf Menschen, die dort spazieren gingen, fragten nach Dorf und Kloster und wurden immer wieder zur Steilwand geschickt. Wir fanden einfach diesen verfluchten Weg hinunter nicht und gingen schließlich zurück zu der Berghütte, an der wir 19:30 Uhr eintrafen. Inzwischen war die Hütte verlassen. Mit Schrecken fiel mir ein, dass ich mich ja schon vor zwei Stunden bei unserem Hauswirt hätte melden sollen. Netz hatte ich und so rief ich ihn an und wir verabredeten, dass ich mich wieder melden sollte, sobald ich wüsste, wo ich war. Nur Augenblicke später kamen wieder Spaziergänger aus der anderen Richtung des Weges und ich sprach sie an und erklärte ihnen unser Problem. Die drei, Oma, Opa und Enkelin, kehrten sofort mit uns um und brachten uns zu einem großen Parkplatz vor einem Palais. Auf dem Weg dorthin rief der Mann unseren Hauswirt an und teilte ihm mit, wo er uns in 45 Minuten würde abholen können.


Man lernt ja täglich etwas Neues. An diesem Tag lernte ich, dass in Spanien Streckenwege rot-weiß markiert werden. Gelb-weiß markierte Wege sind Rundwege. Wir waren nämlich bei der Ankunft an diesem Palais nicht weit von unserem Startpunkt entfernt. Durchnässt, halb erfroren und am Ende unserer Kraft trafen wir um 20:30 Uhr am Hotel Torre de Molí ein und ich erklärte die ganze Unternehmung "Els tres Monts" für gescheitert und beendet. Doch Benni wollte sich damit nicht zufrieden geben und ergriff die Initiative. Er setzte mich einfach als Tourguide ab und übernahm für den nächsten Tag die Leitung der Wanderung.


Im Nebenzimmer hatte die ganze Nacht ein Kind geweint und auch die Beschwichtigungsversuche der Eltern waren durch die Sperrholzwand deutlich zu hören gewesen. Dementsprechend müde brachen wir am Morgen zu unserer vermeintlich vorletzten Etappe auf. Der Wirt brachte uns mit dem Auto nach Sant Feliu de Codines direkt zu einer Wegmarkierung und machte uns dabei mehrfach auf die ROT-WEISSEN Markierungen aufmerksam. Wenigstens er hatte seinen Spaß an unserem Irrweg! Dank des vom Wirt gewählten Startpunkts dieser Tages-Etappe erschien die Strecke erfreulich kurz: ganze 14 km lagen vor uns. Das sollte in dreieinhalb Stunden zu bewältigen sein.


Aufbruch war um 10:30 Uhr und bei einem Metzger kaufte der neue Tourguide, mit Hilfe seines kleinen Bruders, den Tagesproviant ein. Mir war ab jetzt nur noch erlaubt, hinter den beiden herzulaufen. Auch und gerade an Stellen, an denen der Wegverlauf nicht ganz eindeutig wäre. Die Markierung war zunächst mehr als deutlich, vor allem im Ortsbereich, wurde dann wieder etwas spärlicher, bis wir schließlich vor lauter Hinweisschilder nicht mehr wussten, wie weiter. An einer Wegkreuzung wäre ich links gegangen aber ich hatte ja nichts mehr zu sagen und Benni und Sebi marschierten rechts weiter.


Mitten im Wald gab es ein Hindernis, bei dem ich dann wieder vorausgehen durfte, weil die beiden erst sehen wollten, wie die alte Tante durch diese riesige Pfütze hindurch käme. Meine errechneten dreieinhalb Stunden waren schon seit einer guten Stunde vorbei und wir hatten noch immer nicht das Dorf Gallifa passiert, das etwa auf halber Strecke nach Sant Llorenç Savall, unserem Etappenziel, liegen müsste. Nach sechs Stunden erreichten wir Gallifa und kurze Zeit später stießen wir linker Hand auf den rot-weiß markierte Weg, der lt. Hinweisschild aus Sant Feliu kam, unserem Startpunkt am Morgen. Es gab auch gelb-weiße Schilder die, aus unserer Richtung kommend, ebenfalls nach links wiesen.


Um 17:15 Uhr erreichten wir Sant Llorenç Savall und fanden gleich das Hostal Cal Pla, das von der noch ziemlich jungen Teresa betrieben wurde, die begeistert alles sammelt, was irgendwie mit Coca-Cola zu tun hat. Die Zimmer waren gemütlich eingerichtet und im zugehörigen Restaurant ein paar Meter die Straße rauf wurde uns ein fürstliches Abendmal serviert, bei dem ich zum ersten Mal Pan Catalán aß: geröstetes, mit Olivenöl beträufeltes und mit Tomaten eingeriebenes Weißbrot. Lecker! Ich erzählte Teresa, dass weder Señora Mercé noch der Wirt des Torre del Molí von der Existenz ihres Hostals gewusst hatten, beide aber gerne ihren Gästen bei der Planung einer Els-tres-Monts-Wanderungen behilflich sein wollten. Teresa bat mich daraufhin, bei den beiden eine positive Bewertung über ihr Hostal abzugeben und wir mussten dafür im Gegenzug unser Abendessen nicht bezahlen.

Nachdem an den vergangenen Tagen zwar das Wetter beständig besser geworden war, wir aber an keinem einzigen Tag die Strecke ohne Verlaufen und in der geplanten Zeit zurückgelegt hatten, einigten wir uns darauf, nun wirklich abzubrechen und mit Bus und U-Bahn nach Barcelona zurückzufahren. Schließlich mussten wir auch am späten Nachmittag meine Mutter und Nichte vom Flugplatz abholen und das würden wir mit Sicherheit nicht schaffen, sollten wir uns auf dem restlichen Weg bis zum Kloster Montserrat auch wieder verirren.


Benni verbrachte die nächsten Tage mit seiner Schwester, um Barcelona zu entdecken und Camp Nou, das Stadion von FC Barcelona zu besichtigen. Ich denke mal, er kennt jetzt jede Boutique der Innenstadt. Sebi zog mit der Barcelona-Card allein los, besichtigte, was man besichtigen kann, entdeckte des nächtens jeden noch so verrufenen Winkel der Stadt und wusste nach zwei Tagen den gesamten Fahrplan der städtischen Verkehrsverbunde auswendig.


Ich besichtigte dagegen mit meiner Mutter den Sektkeller von Freixenet und kam per Bus doch noch zum Kloster Montserrat, das wir ausgiebig erkundeten und wo wir von der Einzigartigkeit der dortigen Bergwelt begeistert waren.


Benni war von der administrativen Leistung der Gemeindemitarbeiter zu Beginn unserer Reise beeindruckt und schlug eine berufliche Laufbahn im Verwaltungsbereich ein, während er sich bei seinen sportlichen Aktivitäten fast ausschließlich auf die geraden, wegweisenden Linien eines Fußballfeldes verlässt. Sebi schenkte ich dagegen vor zwei Jahren meine gesamte Wanderausrüstung, mit der er mit dem Fahrrad durch Süd-Schweden zog. Beruflich hat er sich dem medizinisch-technischen Bereich zugewendet und lebt (und studierte) an der genau gegenüberliegenden Küste der iberischen Halbinsel, von wo aus er, zusammen mit seiner portugiesischen Freundin María, mit Fahrrad, Zelt und Isomatte die Gegend unsicher macht.

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