Knoydart Trail


Knoydart Trail

Eigentlich hatte ich die Alpen überqueren wollen. Das Problem dabei war die Jahreszeit, in der ich Urlaub machen kann. Durch die Arbeit in der Landwirtschaft geht das fast nur im Winter und zeitigen Frühjahr - also von November bis Mitte April, wenn kaum Feldarbeit zu erledigen ist. Da sind die Alpen aber in der Regel tief verschneit. Es galt also ein anderes Ziel zu finden, nachdem ich aber nicht lange suchen musste.


Schottland hat mich immer schon interessiert und spätestens seit Rob Roy im Kino lief, wollte ich dort hin. Der Flug von München nach Edinburgh war schnell gebucht, zusätzliche Ausrüstung wie dickere Jacke, Esbit-Kocher, Kochgeschirr und Trekkingnahrung wurde bei Globetrotter in München besorgt und auch ein größerer Rucksack war schnell angeschafft. Erstmals sollte auch eine Uhr mit Kompass und Höhenmesser zum Einsatz kommen. Ich hatte mehrere Landkarten der Gegend, durch die ich wandern wollte, direkt in Schottland bestellt und die Tour darin eingezeichnet. Das Handy blieb daheim, denn ein Smartphone hatte ich zu der Zeit noch nicht, Navi-Apps waren damals auch noch nicht der Hit, und Empfang hätte ich dort in der Wildnis sowieso keinen gehabt. Warum das Ding dann überhaupt mitnehmen?


Ich hatte Kontakt zur Autorin meines Wanderführers aufgenommen, um zu erfahren, ob ich wirklich ein Zelt würde mitschleppen müssen. Es gab doch Hütten entlang des Weges! Sollten die wirklich im April schon überfüllt sein? Auch dem Ranger der Knoydart Foundation schrieb ich und erkundigte mich danach. Von beiden erhielt ich gleichlautende Antworten: Um diese Jahreszeit gibt es nicht viele Verrückte, die die Tour gehen.


Ich buchte für die erste Nacht in Edinburgh eine Unterkunft, orderte die Tickets für die Busfahrt über Glasgow nach Fort William und rief dort einen Taxi-Unternehmer an, um zu fragen, ob er die Fahrt zum Loch Hourn übernehmen würde. Als das alles fix war, rief ich vorsichtshalber noch bei dem Betreiber der Kinlochhourn Farm an, um ein Zimmer zu reservieren und erfuhr so nebenbei, dass es nicht sicher sei, ob der Caretaker um diese Jahreszeit schon vor Ort wäre. Ich könne aber jederzeit auch beim Stalker übernachten, der wäre ganzjährig vor Ort. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Zwei Tage vor dem Abflug erhielt ich dann aber doch die Nachricht, dass der Caretaker die Fahrt durch den Schnee geschafft hätte und das Haus wohnlich herrichten würde. Dem Abenteuer Scottish Highlands stand nun nichts mehr im Weg. Ich würde vom Loch Hourn, wo der Legende nach der Teufel wohnt, über Loch Nevis, wo Gott wohnen soll, zum Loch Shiel wandern. Wer dort wohnt, das würde ich dabei schon noch herausfinden.


Auch über diese Wanderung schrieb ich einen Reisebericht, "Von Loch zu Loch", weshalb der Bericht hier nicht ganz so üppig ausfallen wird.


Mein Flug ging am 5. April 2011 und ich traf gegen Mittag in Edinburgh ein. Die Pension lag nicht weit von der Royal Mile entfernt und ich hatte vom Zimmerfenster aus das Edinburgh Castle im Blick. Bevor ich aber zur Sightseeingtour durch die Altstadt aufbrach, wanderte eine lage dicker Winterklamotten in den eh schon schweren Rucksack, denn von Schnee, Regen oder Kälte konnte in der Schottischen Hauptstadt nicht die Rede sein.


Am nächsten Morgen wanderte ich mit meinem Monsterrucksack zur Busstation. Ich war eine gute Stunde zu früh dort und fuhr auf Anraten des Busfahrers mit dem Bus, der gleich abfahren würde, auch wenn ich eigentlich erst für den nächsten gebucht war. Manchmal hab auch ich ein bisschen Glück beim Timing, denn wir gerieten kurz vor Glasgow in einen Stau und erreichten den Busbahnhof mit fast einer Stunde Verspätung, doch gerade noch rechtzeitig, um meinen Anschluss nach Fort William zu erreichen.


Der Bus verließ Glasgow auf der A82 nach Norden. Hatte ich mich während der Fahrt nach Glasgow noch in mein Buch vertieft, weil wegen dem unaufhörlichen Regen sowieso von der Landschaft nichts zu sehen war, so war ich jetzt von der Gegend hellauf begeistert. Der Regen hatte etwas nachgelassen und die Straße schlängelte sich entlang des Loch Lomond. So manches Mal manövrierte der Fahrer seinen Bus auf der schmalen Straße knapp am Abgrund entlang und auch zurücksetzen musste er einige Male, wenn Busse oder LKWs entgegenkamen. Nachdem wir Loch Lomond hinter uns gelassen hatten, führte der Weg durchs Rannoch Moor und schließlich ins sagenumwobene Glencoe - das Tal der Tränen. Mit der Zeit sammelten wir immer mehr völlig durchnässte Wanderer auf, die auf dem West-Highland-Way unterwegs waren, dessen Verlauf oft mit der Straße identisch war. Vorbei an den Three Sisters erreichten wir am Loch Linnhe entlang Fort William. Dort stand direkt am Bus bereits mein Taxi, das mich zur Farm am Loch Hourn bringen sollte. Mittlerweile schüttete der Himmel alles aus, was die tiefhängenden Wolken hergaben und der Fahrer hatte es sehr eilig. Er wollte so schnell wie möglich zu der zweistündigen Fahrt (einfache Wegstrecke) aufbrechen, weil er mit Überschwemmungen rechnete. Der viele Regen hätte aber auch sein Gutes, sagte er, denn mit Schnee müsse man "oben" nun nicht mehr rechnen.


Wir fuhren weiter auf der A82, bis wir bei Invergarry - kurz vor Loch Ness - auf die A87 abbogen. Noch ein paar Kilometer und wir verließen die Hauptstraße, um ins Glen Garry abzubiegen. Loch Garry und Loch Poulary passierten wir noch, dann war Schluss mit Taxifahren. Die Straße war total überschwemmt und es gab kein Vorwärtskommen mehr. Kurzentschlossen stieg ich aus, zahlte den Fahrer und machte mich auf die Socken, um die letzten 8 km zu Fuß zurückzulegen. Und das meine ich jetzt wortwörtlich, auf die Socken, denn die Schuhe zog ich für die nächsten paar hundert Meter aus und watete auf Strümpfen durchs knietiefe Wasser. Das Abenteuer hatte begonnen!



  • Auf der Kinlochhourn Farm wurde ich erwartet, wenngleich der Caretaker und ich nicht sofort zueinanderfanden, sondern ich ziemlich durchnässt eine halbe Stunde vor der Tür stand, bevor ich bemerkte, dass diese gar nicht abgeschlossen war. Durch ein heißes Bad und einen ordentlichen Schuss Whisky im Kaffee wurde mir aber bald wieder warm, und eine Stunde Schlaf vor dem Abendessen brachte mich vollends wieder auf die Beine. Ich erfuhr, dass es die letzten 20 Jahre in den Highlands nicht mehr so viel an einem Tag geregnet hatte wie heute und freute mich, dass ich dieses Ereignis nicht verpasst hatte. Es war ein netter Abend, dem eine erholsame Nacht und ein ausgezeichnetes schottisches Frühstück folgte, mit Ham and Eggs, Mushrooms, Plumpudding und Baked Beans. Im Kaffee war diesmal kein Schuss. Und dann brach ich auf zur ersten Tagesetappe des Knoydart Trails.


    Die Straße endete nach wenigen Metern und ging in einen schmalen Pfad zwischen üppig wachsendem Rhododendron über. Jeder Schritt musste ab jetzt genau gesetzt werden, denn zwischen kopfgroßen Steinen und armdicken Wurzeln taten sich auch immer wieder Schlammlöcher auf. Teils führte der Pfad direkt am Loch Beag entlang, wie Loch Hourn hier noch genannt wird, teils erklomm man schon den einen oder anderen Hügel. Nach zwei Stunden legte ich in Runival, bei ein paar Crofterhütten, eine Pause ein und streifte ohne den schweren Rucksack, der immerhin ein Gewicht von 13 Kilo hatte, zwischen Felsbrocken und Schwemmholz am Strand umher. Dabei entdeckte ich mehrere Hirsch-Skelette. Solche waren mir tags zuvor auf dem Weg nach Kinlochhourn schon aufgefallen. Später erfuhr ich, dass sie verhungert waren. Sie waren Opfer des ungewöhnlich langen und harten Winters geworden.


    Der Regen hatte noch vor meinem Start am Morgen aufgehört, doch der Wind brachte feuchte Luft vom Meer her. Auf einer Brücke sitzend legte ich, gegen meinen Rucksack gelehnt und in meine Regenklamotten gekuschelt, eine längere Pause ein. Als ich den Rucksack wieder schwungvoll auf meinen Rücken hieven wollte, zog mich das schwere Teil nach hinten und ich sah mich schon unsanft auf den Boden plumpsen, da fing mich von hinten jemand auf. Der Schreck über die zugreifenden Hände war noch größer als das Erschrecken über den bevorstehenden Sturz. Ich hatte nicht gesehen, dass da jemand kam. Der schottische Munro-Bagger stellte mich auf die Füße, erkundigte sich kurz nach meinem Befinden und war schon wieder verschwunden, seinen nächsten Munro zu baggen. Als Munro bezeichnet man in Schottland einen Berg, der höher ist als 3000 ft (914,4 m) und ein Munro-Bagger "sammelt"  diese Berge. Es gibt derer 282 in Schottland. Kleinere Berge heißen Corbett (2500-3000 ft), Graham (2000- 2500 ft) und Marilyn (unter 2000 ft).


    Am späten Nachmittag erreichte ich mein erstes Ziel, die Barisdale Bothy. Die Hütte war sehr einfach aber zweckmäßig eingerichtet. Es gab einen Aufenthaltsraum mit einem Tisch, ein paar Stühlen, einer Spüle und einem leider zugenagelten Kamin, in dem ich mir ein lustig brennendes Feuer gewünscht hätte. Daneben waren zwei Schlafräume und das "Badezimmer" - Toilette und Waschbecken - erreichte man über den Hof. Mit der Eingangstür trug ich einen kurzen Kampf aus, den ich für mich entscheiden konnte. Während ich mich einrichtete hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden und tatsächlich, durch das Fenster schaute ein Hirsch meinem Treiben zu. Ich schlich nach draußen um ein Foto von ihm zu schießen und staunte nicht schlecht: da stand ein ganzes Rudel Hirsche auf dem Zeltplatz vor der Hütte und sah mich erwartungsvoll an. Später am Nachmittag kam dann auch der Stalker, der Wildhüter, und fütterte Heu. Von ihm erfuhr ich auch von den Problemen, die der lange Winter gebracht hatte. Zurück in der Hütte verscheuchte ich ein paar Hühner, die es sich auf meiner Isomatte gemütlich gemacht hatten, und warf erstmals meinen Esbit-Kocher an. Tablette um Tablette entzündete ich darin, ohne dass im Wasserkessel darüber auch nur zarte Bläschen aufstiegen. So wurde das nichts mit meiner Linsensuppe! Der Stalker half mit einem Gaskocher aus und mir war sofort klar, was nach meiner Heimkehr meine Ausrüstung bereichern würde.

    Mein zweiter Wandertag führte mich hinauf zum Pass Mam Barisdale. Wolken und Nebel wechselten sich ab und obwohl es nicht regnete, konnte man nicht behaupten, dass es trocken war. Der Wind brachte viel Nässe mit. Bergauf lief ich stets ohne Jacke, doch sobald ich mich einer Bergkuppe näherte, holte ich die Regenjacke heraus, weil ich wusste, dass der Wind mich gleich voll erfassen würde. Die Schuhe konnte man schon seit dem Vortag nicht mehr trocken nennen, aber wenigstens die Socken waren es am Morgen gewesen. Ich hatte mir in der Bothy noch ein Fladenbrot gebacken und dieses wieder in den Alubeutel gesteckt, in dem die Backmischung gewesen war. So war es bei meiner Pause in einer alten Whisky-Destille noch warm und schmeckte wirklich gut.


    Gegen Mittag kam ich am Brocket-Monument vorbei, das weithin sichtbar auf einem Hügel thront. Ich las später, dass dieses Monument nach der Vertreibung der   Seven Men of Knoydart von Lord Brocket errichtet worden war. Die Seven Men of Knoydart hatten nicht genutztes Land für sich in Anspruch genommen, Getreide angebaut und Whisky gebraut. Wohl in der Destille, in der ich gefrühstückt hatte. Lange war dies vom rechtmäßigen Besitzer unbemerkt geblieben. Doch dann ließ er sie durch Gerichtsbeschluss vertreiben. Überhaupt hat die ganze Gegend dort eine wechselhafte Geschichte von Vertreibung, Verschleppung und sinnloser Abholzung der caledonischen Wälder.


    Ab dem Monument wurde der Weg trockener. Am Pass oben war ich mehr oder weniger durch Sumpf gelaufen. Da war kaum eine halbwegs trockene Stelle zu finden gewesen. Mein Ziel für diesen Tag war das Dorf Inverie am Loch Nevis, dessen 70 Bewohner 1999 ihre Häuser samt Grund vom Staat bzw. vom Militär hatten kaufen können und die sich seitdem in der Knoydart Foundation selbst verwalten. Ich hatte ein Zimmer für 2 Nächte im Bunkhouse der Foundation gebucht. Das dachte ich zumindest, doch es stellte sich heraus, dass ich lediglich ein Bett im Schlafsaal gebucht hatte. Das Einzel- und das Doppelzimmer waren schon belegt, genauso wie die kleine Ferienwohnung und der Frauenschlafsaal. So brachte mich die junge, doch äußerst resolute Hausverwalterin kurzerhand im Männerschlafsaal unter. Zumendest hatte ich ein einzeln stehendes Bett und musste nicht in einem Stockbett unter oder über einem fremden Mann schlafen.


    Der kleine Ort ist sehenswert, auch wegen seiner besonderen Geschichte und seiner ebenso besonderen Bewohner. Das Dorf kann man nur zu Fuß oder mit dem Schiff erreichen. Trotzdem gibt es hier Autos, denn man hat Straßen zu den weiter entfernten Anwesen gebaut. Ganze 12 km misst diese Straße. Es gibt eine intakte Wasserversorgung und eine Müllverbrennungsanlage in der Strom erzeugt wird. Nachts wird der Strom abgeschaltet, weshalb in der Küche der Foundation der Kühlschrank zwischen 22 Uhr abends und 6:30 Uhr morgens nicht geöffnet werden durfte, um die Kälte einigermaßen konstant zu halten. Und es gibt The Old Forge, ein Pub, das es als abgeschiedenstes Pub auf dem britischen Festland ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat. Mittlerweile hat das Dorf 110 Einwohner und eine ganze Menge mehr zu bieten als im Jahr 2011.


    Von Inverie aus unternahm ich am nächsten Tag eine Wanderung nach Doune. Ich hatte dort im Doune Diningroom essen und dabei die im Flyer versprochene Seehund-Kolonie beobachten wollen. Doch ich wurde gleich doppelt enttäuscht. Zu essen gab es nur, was ich mir mitgebracht hatte - Nüsse und Schokolade - und Seehunde gab es auch keine. Doch die Wanderung war viel zu schön gewesen, um sich lange zu ärgern. Zurück wollte ich aber nicht mehr auf der Asphaltstraße gehen. Dafür war ich nicht nach Schottland gekommen. Die Straße schien mir einen großen Bogen zu machen, um nach Doune zu gelangen. Ich wollte den direkten Weg gehen - einfach quer durchs Moor. Schließlich hatte ich mich informiert und wusste, dass die Bogholes, die Schlammlöcher im Moor, nicht wirklich tief waren. Es hieß, man könne lediglich bis zur Hüfte einsinken. Und viel größer als ich bin, sind die Schotten auch nicht.


    Bei meiner Abkürzung kämpfte ich mich also Hügel rauf und runter, sprang über Bogholes oder auch mal hinein, wurde nass und schlammig bis an die Knie, entdeckte ein keltisches Kreuz, das hoch über einer Steilküste stand, traf einen Hirsch, der mich genauso wenig gesehen hatte, wie ich ihn und der genauso erschrocken war wie ich, als wir voreinander standen, und der mir dann sogar seinen letzten Geweih-Ast vor die Füße warf, und ich brauchte für meine Abkürzung kaum eine halbe Stunde länger als ich bei der regulären Wegführung die Straße entlang gebraucht hätte.

    Gegen halb acht am Morgen verließ ich Inverie auf dem selben Weg, auf dem ich zwei Tage vorher gekommen war. Bis zum Brocket Monument folgte ich der Fahrspur und orientierte mich dann nach der Beschreibung im Wanderführer. Mit Kompass und Karte hielt ich weglos auf den beschriebenen Einschnitt zwischen zwei Bergen zu. Hier gab es eine Bothy, einen Zeltplatz und eine Furt durch den Bach und ab da auch wieder einen sichtbaren Pfad. Ich wanderte den ganzen Morgen bergauf, der Sonne entgegen. Einzelne Schäfchenwolken zogen über einen ansonsten strahlendblauen Himmel. Es wurde bald warm und erstmals brachte der Wind keine Nässe mit sich, ich empfand ihn sogar als angenehm.


    Ich war früh aufgebrochen, weil die Etappe als sehr schwer eingestuft war. Für die 14 km bis zur Sourlies Bothy hatte man eine Gehzeit von acht Stunden veranschlagt und auch die Folgeetappe des nächsten Tages war mit 14 km und sieben Stunden ausgeschrieben. Ich konnte mir nicht vorstellen, welche Schwierigkeit da auf mich warten würde. Für 14 Kilometer brauche ich normal, wenn ich mir viel Zeit lasse, maximal fünf Stunden. Über eine Stunde lang lief ich auf einen riesigen Felsbrocken am Grat des Berges zu, der den Pass markiert. Oben angekommen, konnte ich endlich sehen, was da vor mir lag - das Carnoch-River-Delta. Von oben sah es aus wie ein gigantisches Spinnennetz.


    Der Abstieg vom Berg war kräftezehrend und ich war froh, nicht in der anderen Richtung unterwegs zu sein. Zwei junge Burschen kamen mir schwitzend und keuchend auf halber Höhe entgegen. Wir blieben auf einen kurzen Erfahrungsaustausch stehen und während ich sie damit aufheitern konnte, dass es für sie von oben nur noch auf angenehmem Weg ca. drei Stunden bis Inverie immer abwärts gehen würde, deuteten sie mit einer Kopfbewegung auf das Delta und sagten nur: "Difficult, very difficult. Be carefull!" Sie rieten mir, bei den Ruinen im Tal die Ebbe abzuwarten und erst in einer Stunde die Durchquerung des Deltas anzugehen.


    Im Tal unten streifte ich nicht nur den Rucksack ab, sondern hängte auch die Hosenbeine, die Socken, das durchnässte Hemd und auch das T-Shirt an meinen Trekkingstöcken auf. Das Thermometer an meiner Armbanduhr zeigte 32°C an und so fühlte es sich auch an. In kurzer Hose und Windschutzweste streifte ich zwischen den Ruinen umher und versetzte mich in Gedanken in eine längst vergangene Zeit, als hier noch Menschen wohnten, bevor man sie im Rahmen der Clearances vertrieb.


    Schon seit einiger Zeit hatte ich mir die Hängebrücke mit ihrem Hinweisschild angesehen und überlegt, ob ich nicht lieber eine Furt durch den Carnoch River suchen sollte. Doch die Brücke stellte sich als das geringste Hindernis heraus. Für den Weg durch das Delta brauchte ich dagegen zwei Stunden - für 350 Meter! Als ich das geschafft hatte, stellte sich mir ein noch größeres Problem in den Weg, bzw. es saß vor der Sourlies Bothy. Vier Männer, nur mit Unterhose bekleidet, mit der Whisky-Flasche in der Hand und deutlichem Zungenschlag, der nicht vom Dialekt herrührte. Ich würde unter gar keinen Umständen die Nacht mit diesen vier Typen zusammen in der Bothy verbringen, die noch dazu komplett vermüllt war!


    Etwas hilflos studierte ich die Landkarte. Ich hatte für die Etappe heute keine acht, sondern nur fünf Stunden gebraucht, ohne die Pause. Es war jetzt 14 Uhr. Die Folgeetappe sollte aber nochmal 14 km lang sein. Eigentlich kein Problem, nur die angegebenen sieben Stunden lagen mir schwer im Magen. Einer der Männer sah wohl, dass ich weiter wollte und meinte, die Strecke sei nicht so schwierig und müsste in fünr bis sechs Stunden zu machen sein. Ich solle allerdings den Höhenmesser nicht aus den Augen lassen, sonst würde ich den Pass nicht finden. Gegen 20 Uhr würde die Sonne untergehen. Mir blieben also sechs Stunden, aber ich hatte immerhin schon eine als sehr schwer klassifizierte Etappe hinter mir. Trotz allem packte ich meine Zeug wieder zusammen und verabschiedete mich.


    Die Sonne brannte weiterhin vom Himmel und der Aufsieg war schweißtreibend. 400 Höhenmeter weiter hätte ich eigentlich schon am Pass sein müssen, doch ich war mir nicht mehr sicher, ob ich noch dem Pfad folgte oder irgendeinem der vielen Wildwechsel. Irgendwann stand ich mit dem Rücken zur Wand auf einem schmalen Sims und kam nicht mehr weiter. Wenigstens konnte ich von da aus den Pfad sehen, wie er sich vom Pass ins Tal schlängelte. Ich musste mich weiter links halten und noch etwas höher hinaufsteigen. Als ich endlich oben angekommen war, drehte ich mich um, um noch einmal zum Loch Nevis zurückzuschauen, und bekam einen gehörigen Schrecken. Da kam eine schwarze Wolkenwand auf mich zu.


    So schnell ich konnte, brachte ich den Abstieg hinter mich. Dabei stieß ich auf zwei weitere Wanderer, die zur Sourlies Bothy unterwegs waren. Sie waren am Vormittag an der A´Chuil Bothy im Glen Dessary aufgebrochen - meinem Ziel für heute - und etwa so lange unterwegs wie ich auch. Das machte mir nicht gerade viel Mut. Allerdings schienen die beiden sehr langsam unterwegs zu sein. Der Pfad war jetzt wieder deutlicher zu erkennen und kurz vor 19 Uhr hatte ich die Wahl zwischen dem Pfad durch den Wald und der Fahrspur über Wiesen. Ich entschied mich für die Wiesen und erhöhte mein Marschtempo. Schlitternd und rutschend bewältigte ich einen kleinen Abhang, dabei passte ich nicht mehr so auf meine Schritte auf, rutschte aus und viel rücklings in ein Sumpfloch. Ich verschwand quasi ebenerdig im Loch. Ich muss ausgesehen haben, wie festgefahren und war froh, dass mich niemand so sehen konnte. Ich konnte weder aufstehen, noch mich auf den Bauch wälzen. Ich musste den Rucksack abschnallen, ihn ausziehen und konnte mich dann seitlich wegdrehen. Nur mit Mühe und Not bekam ich den Rucksack aus dem Schlamm. In etwas gemäßigterem Tempo setzte ich meinen Weg fort.


    Die Bothy erreichte ich im Dämmerlicht kurz vor 20 Uhr. Der Weg verlief etwas oberhalb der Hütte und auf dem Pfad, der zur Bothy führte, fiel ich nochmal. Allerdings landete ich diesmal auf dem Allerwertesten. Beim Näherkommen hörte ich drinnen Männer grölen und gleich darauf - fröhliches Kinderlachen. Wie groß war da die Erleichterung! Die Tür machte mir wie üblich etwas zu schaffen, aber gerade als ich mich mit der Schulter dagegenwerfen wollte, wurde sie von innen geöffnet und ich fiel nicht nur buchstäblich mit der Tür ins Haus, sondern auch mit einem jungen Französen, der sie mir geöffnet hatte.


    In der Nacht hatten der Franzose und ich noch für Aufruhr gesorgt. Wir hatten uns am Abend bei Kerzenschein recht angeregt unterhalten und waren auf die Idee gekommen den offenen Kamin einzuheizen. Ich hatte draußen Totholz gesammelt, mein Zimmerkollege hatte von den Nachbarn frisches Holz bekommen. Dieses brannte aber nicht und wir hatten es zum Trocknen rund ums Feuer gestellt. In der Nacht muss es sich wohl entzündet haben und das Feuer im Kamin brannte lichterloh. Dadurch wurden die Steine so heiß, dass einige mit lautem Knall zersprangen. Schlagartig waren alle Übernachtungsgäste wach und wir kippten Wasser ins Feuer. Danach hielten wir alle zusammen in unserem Schlafraum, in der Unterwäsche, Feuerwache und ließen die Whiskyflasche reihum gehen. Das hätte ich am Nachmittag an der Sourlies Bothy so auch schon haben können!


    Der letzte Wandertag war nochmal etwas beschwerlich, wenn auch nicht so lang und anstrengend wie der vorherige. Es war kalt geworden und Wiesen und Bäume hatten eine dicke Reifschicht. Als ich am Bach draußen Wasser für meinen Kaffee holte, stellte ich fest, dass auch die Steine mit Eis überzogen waren. Dick eingepackt brach ich auf zur letzten Etappe. Der Franzose hatte mir eine Abkürzung empfohlen bzw. davon abgeraten, den im Buch beschriebenen Umweg zu gehen. Er sagte mit einem Grinsen im Gesicht, der Weg sei nicht, wie es im Buch hieß, unpassierbar, sondern eine regelrechte Autobahn. Später sah ich, was er meinte: der Weg war für Geländewagen mit Planken und ganzen Bäumen ausgelegt. Allerdings musste man diesen irgendwann verlassen und sich quer durch die Büsche zum Fluss durchschlagen. Hier gab es eine Brücke und gleich darauf eine Furt über einen  breiten Bach. Und da bin ich wohl falsch abgebogen. Denn der anfängliche Pfad verlor sich bald und ich kletterte über Geröll und hüpfte wieder einmal über Sumpflöcher, bis ich am Ende des Tals mit der Gruppe Männer und Kinder aus der Bothy zusammentraf. Sie hatten wohl den einfacheren Weg erwischt.


    Nun ging es hinauf zum letzten Pass und war ich gestern noch froh, in Nord-Süd-Richtung unterwegs zu sein, so fluchte ich nun darüber. Der Aufstieg war die reinste Kletterpartie. Zu allem Überfluss begann es auch noch zu schneien. Doch auch dieser Pass war irgendwann überwunden und es stellte sich nur noch ein einziges Hindernis zwischen mich und mein Ziel, nämlich wieder einmal eine marode Hängebrücke.


    Am frühen Nachmittag erreichte ich eine Asphaltstraße und wanderte ab jetzt trockenen Fußes Richtung Glenfinnan. Kurz bevor ich das Dorf erreichte, führte mein Weg unter einem beeindruckenden Viadukt hindurch, das mir irgendwie bekannt vorkam. Ich studierte die Info-Tafel und erfuhr nicht nur, woher ich das Viadukt kannte, sondern auch, wer am Loch Shiel wohnt. Wir wissen ja schon: am Loch Hourn wohnt der Teufel, am Loch Nevis Gott und am Loch Shiel wohnt Harry Potter. Über das Viadukt fährt der Hogwarts Express und das fiktive Schloss Hogwarts steht - zumindest im Film - am Loch Shiel. Alles, was die Dreharbeiten jedoch auf der Wiese am Ufer dort übriggelassen haben, sind die Stangen, die das Quidditch-Feld markieren.


    Ich quartierte mich kurzentschlossen für zwei Nächte in einer Pension im Dorf ein, besuchte das Monument of Glenfinnan, mit dem Denkmal von Bonnie Prince Charlie, und das Visitor-Centre und hatte das Glück, genau am Jahrestag vom großen Aufstand vor Ort zu sein.


    So endete meine Wanderung auf dem Knoydart Trail und obwohl sich seitdem etliche Wanderungen durch schöne und beeindruckende Gegenden angeschlossen haben, war der Trip durch Schottland der schönste, den ich je unternommen habe.

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